Und wenn es nicht klappt?
Wie kommt man am Arbeitsplatz miteinander aus, wenn es mit den Kolleg:innen nicht so gut läuft? Arbeitsmedizinerin und Psychotherapeutin Irmgard Reisinger weiß, wie man die mentale Gesundheit schützt.
younited: Mit wem man am Arbeitsplatz zu tun hat, kann man sich meist nicht aussuchen. Wie funktioniert ein harmonisches Miteinander?
Irmgard Reisinger: Auch wenn man viel Zeit miteinander verbringt –mein Arbeitsumfeld muss nicht mein neuer Freundeskreis werden. Das gilt es vorab einmal zu akzeptieren. Und auch wenn man nicht immer einer Meinung ist, sollte man stets darauf achten, wertschätzend miteinander umzugehen, gut zuzuhören, rational zu argumentieren und fair dem anderen gegenüber zu bleiben.
younited: Und wenn es doch mal kracht oder gar Mobbing unter Kolleg:innen entsteht?
Irmgard Reisinger: Durch Streit kann das Arbeitsklima unerträglich werden. Da heißt es so früh wie möglich „Stopp“ zu sagen und den Vorfall zu kommunizieren. Nie darf Mobbing still erduldet und erlitten werden. Denn das stärkt die Mobber:innen. Sie müssen sofort aufgezeigt bekommen, dass sie falsch handeln und ihr Tun am Arbeitsplatz keinen Raum hat.
younited: Psychische Gesundheit wird oft immer noch als individuelle Verantwortung angesehen. Wie kann die Arbeitgeber:in da unterstützen?
Irmgard Reisinger: Die Evaluierung psychischer Belastungen ist seit 2013 für alle Arbeitgeber:innen verpflichtend und gesetzlich festgelegt. Das schafft ein Bewusstsein, dass es viele verschiedene Faktoren sein können, die Mitarbeitende belasten, und es auf keinen Fall persönliches „Versagen“ einer Einzelperson ist. Innerbetriebliche Angebote wie Aufklärung, Sensibilisierung, den Umgang mit Süchten und Infos über Anlaufstellen helfen, das Thema aus der Tabu-Ecke zu holen.
younited: An welche Hilfestellen kann man sich wenden?
Irmgard Reisinger: Intern sollte es Vertrauensstellen geben. Das können Kolleg:innen, Personalvertreter:innen, Betriebsrät:innen, die Arbeitsmedizin oder Personalverantwortliche sein. Extern gibt es sogenannte Kummernummern, die akut auffangen und weitervermitteln können.
younited: Die Überwindung, sich Hilfe zu suchen ist oft groß. Was muss sich in Bezug auf mentale Gesundheit allgemein und am Arbeitsplatz ändern?
Irmgard Reisinger: Wir putzen uns zweimal täglich die Zähne, um Karies zu verhindern. Was tun wir für unsere Psyche, damit sie nicht erkrankt? Gerade bei psychischen Belastungen ist es wichtig, sich so früh wie möglich Unterstützung zu holen.
younited: Was kann man sonst noch tun, damit der Arbeitsplatz die Psyche nicht krank macht?
Irmgard Reisinger: Wir müssen das Thema viel ernster nehmen und offen darüber sprechen, wenn die Psyche am Arbeitsplatz leidet. Ohne Angst zu haben, dafür stigmatisiert zu werden. Statistiken zeigen, dass psychische Fehlbeanspruchungen mittlerweile die häufigste Ursache für arbeitsbedingte Beschwerden sind. Deshalb unbedingt öfter auch mal nach links und rechts schauen, wie es unseren Kolleg:innen wirklich geht.