Obdachlosigkeit ist keine Endstation
Das Wiener „Chancenhaus Obdach Favorita“ bietet für Frauen und Familien rasch eine Wohnung.
Wien bekennt sich zu „Housing First“ und bietet im „Chancenhaus Obdach Favorita“ ein Auffangnetz für obdachlose Menschen ab 18 Jahren. Es handelt sich hierbei um eine Einrichtung vom Fonds Soziales Wien. „Sie müssen keine Voraussetzungen erfüllen und können einfach zu uns kommen“, sagt Nicole Kadlec. Sie ist Teamleiterin des Frauenbereichs im „Chancenhaus Obdach Favorita“. Kadlec weiß, dass weibliche Obdachlosigkeit im Vergleich zur männlichen verdeckter ist.
Vor allem ältere Frauen sind von Armut und plötzlicher Obdachlosigkeit betroffen. Meist ist es Arbeitslosigkeit, oder eine Trennung, die dazu führen, dass sie plötzlich kein Dach mehr über dem Kopf haben. Aber auch Suchterkrankungen spielen bei einigen eine Rolle.
Früher ein Hotel
Das „Chancenhaus Obdach Favorita“ bietet 38 Wohnungen für Frauen und 50 für Familien. Aktuell wohnen 220 Personen in der Laxenburger Straße.
Früher war das Gebäude ein Hotel, dementsprechend sind die Räumlichkeiten perfekt für die Nutzer:innen. „Im 1. Stock wohnen Frauen, die sich ein Doppelzimmer teilen. Die Zimmer sind vollmöbliert und verfügen über eigene Sanitärräume. Im Stockwerk gibt es dann zwei Gemeinschaftsküchen“, beschreibt Nicole Kadlec.
Nutzungsentgelt
Im 2. Stock sind Familien untergebracht. Die Wohnungen bieten Platz für bis zu acht Personen, inklusive eigener Küche und Sanitärraum. Je nach Einkommen zahlen die Bewohner:innen ein Nutzungsentgelt. Bei Einzelpersonen und Alleinerziehenden sind das monatlich 222 Euro, bei Personengemeinschaften mit Kindern 310 Euro.
Die Bewohner:innen werden bei ihren Problemen von verschiedenen Organisationen unterstützt. „Unlängst hat die Suchthilfe einen alkoholfreien Cocktailworkshop angeboten, der sehr gut angenommen wurde“, erzählt Kadlec. Auch ein anonymer Spritzentausch wird ermöglicht, medizinische Versorgung sowie psychologische Dienste angeboten.
Perspektive geben
Das Team vom Chancenhaus unterstützt auch bei verschiedenen Anträgen. „Wir erleben viele Geschichten. Manche kommen aus dem Ausland und haben keine Geburtsurkunde oder Reisepass. Das ist mit viel Aufwand verbunden, weshalb wir sie bei Behördengängen begleiten. Auch bei der Wohnungssuche. Das Wesentliche an unserer Arbeit im Chancenhaus ist die Perspektivenabklärung – vom ersten Tag an“, so Kadlec.
Kadlec hat „International Studies“ studiert und spricht viele Sprachen. „Das ist bei der Betreuung sehr hilfreich“, lächelt sie. Das Konzept des Chancenhaus Obdach Favorita sieht vor, dass die Nutzer:innen maximal sieben Monate bleiben, allerdings gibt es auch Ausnahmen.
Eine Bewohnerin erzählt
Sladica wohnt derzeit im Chancenhaus. Sie ist 45 Jahre alt und lebt seit 25 Jahren in Wien. Geboren wurde sie in Serbien. „Ich habe mich von meinem Mann scheiden lassen und bin dann ins Chancenhaus gekommen“, verrät Sladica. Mit ihrem Exmann hat sie ein gutes Verhältnis. Die beiden haben auch einen 16-jährigen Sohn, den sie regelmäßig trifft. „Er spielt Fußball, und ich schaue mir gerne seine Spiele an. Wir plaudern ganz viel“, lächelt Sladica.
Sladica hat auch schon eine klare Perspektive. Sie möchte wieder als Reinigungskraft arbeiten. Sie liebe diesen Beruf, erzählt sie. Sie hat schon für die Volkshilfe, verschiedene Firmen und für die isländische Botschaft gearbeitet.
Nur momentan spielt die Gesundheit nicht mit. Außerdem braucht sie noch ein Visum – und dafür nachweisbare Deutschkenntnisse auf dem A2-Level.
Um zu lernen ist Sladica oft im Erdgeschoß des Chancenhauses, denn dort gibt es einen eigenen Raum mit Computer – und Ruhe.
Sladica hat noch viele Pläne in ihrem Leben. „Ich möchte unbedingt wieder meine eigene Wohnung haben, wo ich für meinen Sohn kochen kann. Und vielleicht lege ich mir dann endlich ein Haustier zu“, lacht sie.
Gutes Zeugnis
Der Fonds Soziales Wien hat in einer Befragung von rund 1.000 Betroffenen erhoben, dass 93 % mit der Leistung der Sozialarbeiter:innen insgesamt zufrieden sind. Bei den Wohnbetreuer:innen sind es 91 %.
Auch die Gründe für die Obdachlosigkeit wurden erhoben. 40 % gaben Arbeitslosigkeit an, 29 % eine Trennung oder Scheidung, 25 % die psychische Gesundheit. Fazit der Untersuchung: Obdachlosigkeit kann jede bzw. jeden treffen.