Likes allein zahlen keine Miete
Ebru und Julia leben, lieben und arbeiten mitten in der digitalen Welt. Im Interview sprechen sie über Solidarität und wie viel Mut es kostet, online sichtbar zu sein.
Stellt euch vor, eure Social-Media-Accounts könnten für 24 Stunden die Realität verändern: Was würdet ihr veröffentlichen, was sofort Auswirkungen auf die Gesellschaft hätte?
Ebru: Ich glaube, ich würde einen Song posten, der unbequem ist. Und dazu aufruft: Vernetzt und organisiert euch! Wenn wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der marginalisierte Gruppen nicht ständig um Sicherheit kämpfen müssen, dann braucht es endlich Veränderung. Musik erreicht Menschen oft anders als Worte.
Julia: Ich würde feministische Grundsätze in die Realität holen. Zum Beispiel gleiche Bezahlung, oder dass ein Nein wirklich Nein heißt. Für 24 Stunden gäbe es keine Ausreden und keine Grauzonen: Alle müssten diese Prinzipien leben. Ein Traum.
Ihr habt beide Lehramt studiert, steht heute aber mit eurer Meinung und Musik auf (digitalen) Bühnen. Wie hat sich dieser Weg für euch entwickelt?
Ebru: Ich habe mit zwölf Jahren Songcover auf YouTube gepostet, damals ohne zu wissen, welchen Einfluss das auf Sichtbarkeit haben würde. Erst als die Reichweite gewachsen ist, wurde mir klar, wie politisch das sein kann: Besonders für junge, queere Menschen auf dem Land, die mit ihrer Herkunft struggeln.
Julia: Wir waren im Dorf immer „die Lesben“, alle haben über uns geredet. Anfangs wollte ich durch Pärchenfotos auf Social Media nur zeigen: Unsere Liebe ist genauso normal wie jede andere. Erst seit wir in Wien wohnen, wurde unser Online-Auftritt explizit politisch. Hier haben wir begonnen, über Feminismus, Veganismus und rassismuskritische Themen zu sprechen.
Sichtbarkeit kann empowernd sein, aber sie macht auch angreifbar. Wie geht ihr mit digitalen Anfeindungen um?
Julia: Anfangs bekamen wir fast nur Zuspruch. Mittlerweile ist es anders. Hass im Netz ist wie ein Wettbewerb geworden, die Kommentare sind oft sehr verletzend. Offline würden die Menschen so sicher nicht mit mir sprechen, aber in Social-Media-Bubbles eskaliert es immer mehr. Den meisten Hass bekomme ich von Männern ab.
Ebru: Deshalb werden wir immer vorsichtiger. Wir posten nicht mehr in Echtzeit, geben keine privaten Infos preis und melden extrem beleidigende Inhalte.
Die Plattformen übernehmen kaum Verantwortung für den Schutz ihrer Creator:innen. Gibt es Tage, wo ihr an ein Aufhören denkt?
Julia: Ja, das kommt vor. Besonders frustrierend ist die Zensur auf Plattformen. Wenn ich das Wort „Feministin“ sage, bekommen meine Videos deutlich weniger Reichweite. Gleichzeitig haben rechte Influencer mit frauenfeindlichen Inhalten enorme Klickzahlen. Manchmal will ich aufhören, aber die vielen positiven Nachrichten geben mir Kraft.
Gibt es so etwas wie einen normalen Arbeitstag für euch?
Ebru: Unser Tag beginnt meist früh, unser Hund gibt uns fixe Punkte im Tagesablauf. Aber dann ist jede Woche unterschiedlich. Mal drehe ich eine Kooperation zur Extremismusprävention an Wiener Schulen, dann schreibe ich an neuen Songs, mal sind wir am Diversityball zu Gast, dann begleite ich Julia zu einer Podiumsdiskussion.
Julia: Arbeit und Alltag verschwimmen komplett. Selbst beim privaten Essen denke ich oft: „Das könnte ich posten.“ Unser Gehirn ist schon darauf trainiert, Content-Möglichkeiten zu sehen. Manchmal fühlt es sich an, als würde man nie abschalten können. Wir versuchen, eine Balance zu finden: Politische Themen und persönliche Einblicke sollen sich ergänzen, ohne uns zu überfordern.
Hinter Likes und Reichweite bleibt diese harte Arbeit oft verborgen. Fühlt ihr euch ernst genommen, wenn ihr erklärt, wie euer Arbeitsalltag aussieht?
Ebru: Leider nicht. Politik und Gesellschaft erkennen den Wert von Content-Creator:innen oder unabhängigen Musiker:innen noch zu wenig an. Wir müssen unsere Arbeit ständig erklären, bei Behörden, aber auch auf Plattformen. Dabei finanzieren wir oft genau die, die unsere Reichweite nutzen. Aber Likes allein zahlen eben keine Miete.
Julia: Gesellschaftlich wird der Beruf noch immer belächelt. Männer werden in der Online-Welt oft als Unternehmer wahrgenommen, Frauen nur als „Influencerinnen“ abgestempelt. Dabei steckt hinter jedem Post echte Arbeit, Recherche, Kreativität und Risiko.
Vor allem ein finanzielles Risiko schwingt dabei immer mit, oder? Wie legt ihr den „Wert" eurer Arbeit fest?
Ebru: Wir haben oft mit Selbstzweifeln zu kämpfen. Ist unsere Arbeit wirklich gut? Hat sie überhaupt Wert? Der einzige Anhaltspunkt, den wir haben, sind meistens die Klicks auf unsere Beiträge. Und auf die haben wir wenig Einfluss, weil alles von Algorithmen abhängt.
Julia: Es gibt kaum Vergleichswerte, viele Verträge enthalten Verschwiegenheitsklauseln und Frauen in der Branche werden häufig unterbezahlt. Das macht es schwer, faire Entlohnung durchzusetzen. Workshops oder Social-Media-Kampagnen wären ideal, um Wissen direkt dorthin zu bringen, wo junge Menschen sind.
Ebru: Auch Finanzen, Rechtsschutz und kritische Medienkompetenz gehören dringend in die Bildung. Nur so können junge Menschen selbstbestimmt arbeiten und die digitale Welt kritisch gestalten.
Gewerkschaften als kollektive Strukturen sind in kreativen Berufen eine Stütze. Welche Rolle spielen Solidarität und Netzwerke in eurer Arbeit?
Ebru: Wenn du selbstständig bist, bist du oft ziemlich allein. Du hast keinen klassischen Chef oder Arbeitskolleg:innen, mit denen du dich täglich austauschen kannst. Deshalb sind gewerkschaftliche Strukturen hier entscheidend: Menschen, mit denen du reden und die du um Rat fragen kannst.
Julia: Allein gegen Algorithmen zu kämpfen, macht krank. Solidarität ist für uns kein „Nice to have“, sondern Überlebensstrategie. Gerade bei Themen wie Rechtsschutz bin ich oft überfordert. Darum ist es so wichtig, Anlaufstellen zu kennen.
Wenn ihr an die Zukunft denkt: Wie sollten queere Menschen in 20 Jahren leben und arbeiten können?
Julia: Ich wünsche mir, dass sie sich nicht mehr verstecken müssen. Punkt.
Ebru: Ich bin realistischer. Politische Veränderungen für queere Rechte sind so zögerlich. Wir können nicht einmal Händchen halten, ohne dass es Kommentare gibt. Der Hass sollte sich eher gegen steigende Mieten, Preiserhöhungen und den verinnerlichten Rassismus in der Gesellschaft richten – statt auf Menschen, die lieben, wen sie wollen.
Name: Ebru
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Name: Julia
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