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Leidenschaft bei jedem Stich

Miriam ist Damen- und Herrenschneiderin im Landestheater Linz. Sie hat schon viele Wettbewerbe gewonnen.

Die Nähmaschinen rattern und der Geruch von heißem Bügeleisen liegt in der Luft. Inmitten von Fäden, Stoffresten und Nähmaschinen sitzt Miriam an ihrem Arbeitstisch. „Der Bolero ist fast fertig“, sagt sie, während sie mit geübtem Handgriff noch schnell den überschüssigen Stoff abschneidet. „Ich musste nur noch Löcher für die Daumen reinnähen, damit das ganze auf der Bühne besser passt.“ Ein letzter Blick – fertig.

Zum ersten Mal Schneidereiluft hat Miriam bei einem Praktikum im Landestheater Linz geschnuppert und ab dann stand fest – da will sie hin. Zeitlich passend – denn genau nach ihrem Abschluss war beim Theater ein Lehrplatz frei. Schon als Jugendliche hat sie viel genäht. Zuerst kleine Taschen, dann irgendwann auch Röcke, Tops und Jacken. Im September 2020 hat Miriam ihre Lehre als Damen- und Herrenschneiderin begonnen und im Juli drei Jahre später hat sie ihre Lehrabschlussprüfung gemacht. Seitdem sitzt sie jeden Tag in der Herrenschneiderei, näht Kostüme, stickt Goldbänder auf Fräcke und setzt neue Knöpfe ein.

Namensschilder per Hand

„Jetzt muss ich noch ein Namensschild einnähen und dann ist es fertig.“ Miriam nimmt Nadel und Faden in die Hand und setzt ein paar geübte Stiche. Namensschilder werden in der Schneiderei in jedes Kostüm händisch eingenäht, so weiß jede:r, welches Kostüm zu wem gehört. Händisch – damit es nach dem Stück auch wieder entfernt werden kann.

„Eine Ausbildungsstätte in einer Schneiderei zu finden ist gar nicht so leicht“, erzählt Miriam. Es gibt Änderungsschneidereien, Film und Fernsehen, Fachgeschäfte wie Braut- und Trachtenmoden oder eben das Theater. Miriam hat die Doppellehre gemacht – zur Damen- und Herrenschneiderin. Jetzt arbeitet sie nur noch in der Herrenschneiderei – ganz einfach, weil hier ein Platz frei war. Aber tauschen möchte sie nicht: „Bei den Frauen wird oft mit Tüll und feinen Stoffen gearbeitet und mein Lieblingsstoff ist so ein leichter Wollstoff – etwas fester und kompakter. Ich nähe auch am liebsten einen Anzug. Deshalb passt das schon ganz gut hier.“

Auf dem Siegertreppchen

Aber Miriam näht nicht nur im Theater, sondern sie hat auch schon Wettbewerbsluft geschnuppert. Am Anfang ihrer Lehre ist ihr Vorgesetzter, Raimund Steininger, auf Miriam zugekommen: ob sie nicht beim Bundeslehrlingswettbewerb mitmachen wolle? Miriam wollte. Einen Vormittag lang mussten alle Teilnehmer:innen ein Herrengilet nähen. Miriam gewinnt. Mit dem Sieg hat sie sich automatisch für die Staatsmeisterschaften qualifiziert. „Das waren drei Wettbewerbstage und ich musste eine Modezeichnung machen, was ich bisher nicht so oft gemacht habe.“ Zu der Zeit machte sie beim Theater gerade Station in der Damenschneiderei. Hier hat sie viel geübt, und das kurze, schwarzweiße Kleid, das Miriam in den drei Tagen Staatsmeisterschaft näht, gewinnt auch.

Mit den zwei Siegen in der Tasche geht es nach Dänemark zur Europameisterschaft und nach Frankreich zur Weltmeisterschaft. Aufgeregt war sie schon sehr, aber sie hatte auch genug Zeit, um zu üben. Bei der EM tritt sie im Team an – hier landen der Trenchcoat, Miriam und ihre Kollegin auf dem zweiten Platz. Die Teile – Rock und Oberteil – die Miriam bei der WM näht, kommen auf den 5. Platz „Das haben wir ordentlich gefeiert – auch sehr verdient“, lacht Raimund Steininger, Miriams Chef.

Pro Jahr werden ungefähr 2.250 Kostüme im Landestheater Linz genäht. Kostüm heißt, ein Set, das von oben bis unten einkleidet. All diese Kostüme warten im Lager auf einen eventuellen neuen Auftritt. In den endlosen Gängen schauen Federjacken heraus, Pailletten funkeln, es gibt ein ganzes Regal mit Fatsuits und einen Gang mit farbenfrohen Ballkleidern. Die Gänge liegen im Halbdunkeln, wenn Miriam hineinschaut geht das Licht an. Über drei Stockwerke erstreckt sich das 1.800m² große Lager. 100.000 Kostüme hängen mittlerweile hier. Und jedes einzelne Kostüm ist mindestens einmal durch die Schneiderei gegangen. „Wir müssen mindestens das Namensschild reinnähen“, sagt Miriam, während sie an einem eisblauen Tüllkleid vorbei geht, das so lang ist, dass es im Stiegenhaus hängen muss, damit es nicht am Boden schleift. Nicht jedes Kostüm ist eine Neuanfertigung. Viele Sachen werden gekauft und abgeändert. Und trotzdem kommt das Theater Linz auf bis zu 700 Neuanfertigungen im Jahr.

Wiener Blut

Derzeit steckt die Schneiderei in den Vorbereitungen für Wiener Blut. Eine Operette in drei Akten von Johann Strauss. Miriam spannt den grauen Faden in die Nähmaschine ein, legt die dicke, graue Jacke geübt unter die Nadel und fängt an zu nähen. Bei der Ziernaht sitzt jeder Stich. Beim Theater ist es in der Schneiderei immer bunt und immer abwechslungsreich: „Das aufwendigste Kostüm, an dem ich mitgearbeitet habe, war die Raupe für Alice im Wunderland. Das war schon sehr cool zu sehen, wie das Ganze immer mehr Gestalt angenommen hat.“ Wenn die Kostüme fertig sind, kommen sie nicht mehr zu Miriam. Aber dann holt sie sich einfach ein Ticket für das Stück und kann ihre Arbeit auf der Bühne betrachten.

Text: Marlene Graf