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Lächelnd zur Frühschicht

Wien erwacht zeitig. younited-Redakteurin Katrin Kastenmeier bereitete mit Martina Supper alles für die Frühschwimmer:innen im Amalienbad vor.

Es ist noch dunkel, als Martina Supper um kurz nach halb sechs am Reumannplatz ankommt. Vor dem Amalienbad, einem Art-déco-Wahrzeichen aus den 1920er-Jahren. Damals die modernste Badeanstalt Mitteleuropas, heute Melting Pot, in dem soziale Unterschiede verschwimmen. Martina drückt die schwere Glastür auf und betritt ihren Arbeitsplatz.

Warme Luft und Chlorgeruch strömen in die Nase, als sie das Licht in der prunkvollen Schwimmhalle aufdreht. Seit 15 Jahren ist sie als Schwimmlehrerin und Badewartin im Einsatz. Heute Frühdienst.

Morgendliche Routine

Im Personalraum zieht sie sich um: Weiße Bermudashorts, weißes Leiberl mit Logo der Wiener Bäder. „Ein wenig figurbetonter könnten die schon sein“, murmelt Martina. Pfeife und Schlüsselbund machen ihr Outfit komplett.
Was gibt es zu tun? Erstmal Desinfektionsrucksack umschnallen. Das Gerät liegt schwer auf ihren Schultern. „Jetzt wird es kurz stressig“, sagt sie und prüft stirnrunzelnd die Uhr. In 30 Minuten kommen die ersten Gäste.

Noch bevor das Wasser Wellen schlägt, muss Martina Spiegel putzen, Sanitärräume desinfizieren und vergessene Schwimmbrillen einsammeln. Ein Blick ins Becken: Haare treiben an der Oberfläche. Sie greift zum meterlangen Kescher. Routinierter Griff, unzählige Male wiederholt. „Wir sorgen eben auf allen Ebenen für einen angenehmen Badeaufenthalt“, erklärt Martina. Ihr mache das Putzen nichts aus.

Um 6:45 Uhr setzt sie sich auf ihren weißen Monoblock-Stuhl am Beckenrand. Ein kurzer Moment der Ruhe. Hinter den Kulissen summt eine alte Wasserpumpe, die seit Jahrzehnten ihren Dienst tut. Die Luftfeuchtigkeit schlägt sich als feiner Film auf der Haut nieder, 28 Grad Innentemperatur. „Im Sommer sind’s gefühlte 50.“

Ordnung im Chaos

Dann öffnen sich die Schleusen. Pensionist:innen, Studierende, Arbeiter:innen – rund 50 Frühschwimmer:innen strömen ins Becken. Martina erkennt Stammgäste, grüßt mit einem Winken. Ein Mann in Neoprenshorts zieht gleichmäßig seine Bahnen, eine Schwimmerin kommt im nassen Badeanzug auf Martina zu: „Ist das immer so voll hier?“ Martina bleibt ruhig. „Im Amalienbad gibt es keine Bahnenteilung, jeder sucht sich seinen Platz im Wasser.“

Kurz vor acht leert sich das Becken fast von selbst. Nur ein paar bleiben noch schnaufend unter den wärmenden Luftströmen der Körpertrockner stehen. Der laute Gong beendet das Treiben. Punkt acht ist Ruhe. Vorerst.

Von der Sportschule zur Schwimmlehrerin

Martina ist 46 Jahre alt und hat mit 32 den Quereinstieg als Schwimmlehrerin und Badewartin gewagt. Als Kind war sie in der Sportschule, schwamm bei Wettkämpfen, für den professionellen Durchbruch hatte es nicht gereicht. Stattdessen wurde sie Frisörin, dann Mutter und fand durch einen Zufall schließlich wieder ins Bad. Der Verdienst sei gut, besonders für eine Frau, wie sie sagt. „Gleichzeitig wird erwartet, dass du wie ein Mann arbeitest“, lacht Martina, „aber das kann ich.“

Auch wenn Martina heute nicht selbst unterrichtet, hält sie das Wasser stets im Blick – eine Routine, die sie auch in ihrer Freizeit nicht ablegen kann. „Selbst wenn ich auf der Donauinsel liege, zähle ich mit, wie lang jemand schon unter Wasser ist“, sagt sie. „Im Ernstfall geht's um Sekunden.“

Doch nicht nur Sicherheit ist ihre Aufgabe, auch Konfliktlösung gehört zum Arbeitsalltag. Respektlose Gäste, unflätige Beschimpfungen. „Bei euch ist alles verboten!“ Diesen Satz höre sie oft. Einmal wurde Martina sogar angespuckt. Manchmal helfe da nur Geduld – manchmal muss es Hausverbot sein.

Unsichtbar für viele, essenziell für alle

Mittlerweile ist es 10 Uhr. Martina läuft ihre zweite Runde. Sie kontrolliert Duschen, sorgt dafür, dass der Boden nicht zu rutschig wird und verteilt Pflaster, falls doch jemand über die Stufen schlittert. Unfälle gibt es immer wieder. „Eine Reanimation musste ich zum Glück noch nie machen.“ Ihre anderen Erste-Hilfe-Kenntnisse kämen aber oft zum Einsatz.

Und dann gibt es die Momente, für die Martina ihren Job liebt. Etwa wenn sie einem Kind das Schwimmen beibringt oder älteren Menschen die Angst vor dem Wasser nimmt. „Viele erinnern sich ihr Leben lang daran, wo ihnen das Schwimmen gelernt wurde“, sagt sie stolz. Im Amalienbad haben das zig Generationen getan, auch sie selbst. "Ich seh' mich heut noch dahinten strampeln".

Früher Feierabend

Ihre Schicht endet heute um 14 Uhr. Eine Ausnahme. Üblicher sind 9–12-Stunden-Dienste. Arbeitszeiten, die sich mit Kinderbetreuung nicht immer gut ausgehen. „Ich hatte Glück, dass mein Mann das übernommen hat“, sagt Martina. Häufig nicht die Regel. Lange Zeit war Martina daher die einzige weibliche Schwimmlehrerin der MA 44.

Martina arbeitet dennoch gern im städtischen Bad, das sich auch fast 100 Jahre nach seiner Eröffnung den Grundgedanken bewahrt hat: Badespaß soll kein Privileg der Reichen sein. Ob sie es sich vorstellen kann, hier in Pension zu gehen? „Ja“, sagt Martina. „Erstmal mache ich aber Feierabend für heute.“

Text: Katrin Kastenmeier
Bilder: Mila Zytka