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„Ich lasse keine Wahl aus“

Thomas Stipsits im Gespräch über Entscheidungen, seinen Rückzugsplan und das letzte Stück Kuchen am Wiener Kutschkermarkt.

younited: Kannst du dich an die erste politische Wahl in deinem Leben erinnern?

Thomas Stipsits (kurz nachdenkend): Ja, doch. Bei mir war es aber noch so, dass man erst mit 18 Jahren wählen durfte. Es war die Gemeinderatswahl in Leoben, das weiß ich noch. Es war sehr aufregend, natürlich. Das da reingehen, alles so geheim. Trotzdem habe ich das Gefühl gehabt, dass jetzt alle wissen, was ich gewählt habe.

younited: Hast du noch immer ein Gefühl von Aufregung, wenn du jetzt wählen gehst?

Thomas Stipsits: Ich finde die Politik aufregend und habe schon sehr oft von meinem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Jetzt mit den Briefwahlen sowieso, da lasse ich keine Wahl aus. Ich bin aktiver Wähler, denn wenn ich nicht wählen war, ist es blöd, wenn ich dann drüber schimpfe. Deshalb möchte ich zumindest dabei gewesen sein.

younited: Hast du schon einmal eine Wahl geschwänzt?

Thomas Stipsits: Ich war etwas wahlfaul bei EU-Wahlen, das geb ich zu. Heuer wähle ich per Briefwahl. Ich habe in meiner bescheidenen Politikbeobachtung das Gefühl, es tut sich in Europa gerade sehr viel auf politischer Ebene, und ich denke mir, ich möchte auch einen Teil dazu beitragen, dass das vielleicht in eine Richtung geht, die mir mehr gefällt als die Tendenz, die es jetzt hat.

Ich stelle mir schon die Frage, warum gewinnen vielleicht ausgerechnet die. Wo ist der Punkt der Unzufriedenheit? Bei einer Diskussion im deutschen Fernsehen hat ein Linkspolitiker gesagt, vielleicht sollte man mal aufhören über die AfD-Wähler zu sprechen, und mal mit ihnen sprechen – das ist eine Aussage, der kann ich schon einiges abgewinnen. Zumindest mal probieren. Jeden kann man eh nicht überzeugen. Sachpolitische Sachen verkaufen sich nicht so gut. Ohne Emotionen ist es in der Politik schon schwer.

younited: Wir Gewerkschafter:innen sind vor allem der Sache verpflichtet, meistens ohne Emotionen …

Thomas Stipsits: Von meinem Papa habe ich gelernt, was Gewerkschaft heißt. Mein Papa war Arbeiter, da war für ihn immer klar, auch Mitglied zu sein. Es war wichtig für ihn, eine Anlaufstelle zu haben. Er hat in einem privaten Betrieb gearbeitet.

Ich bin handwerklich gar nicht begabt und sehr froh, dass ich das Talent habe, das ich bekommen habe. Aber ich habe früher in den Ferien oft bei meinem Papa in der Firma gearbeitet. Das waren Tätigkeiten, wo man aber nichts kaputt machen konnte. Dachrinnen putzen, Sachen hinhalten, nichts Fachliches. Er hat auch relativ schnell erkannt, dass ich wirklich keine Begabung fürs Handwerkliche habe. Eine Lampe kann ich schon aufhängen, aber viel mehr ist es nicht. Holz hacken mache ich gerne, das sind so einfache Tätigkeiten, das ist schon fast meditativ. Da kann man auch Zorn reinlegen.

younited: Irgendwie hat man jeden Tag im Leben eine Wahlmöglichkeit, rein beruflich gesehen. Hast du eigentlich jeden Auftritt gern gemacht?

Thomas Stipsits: Es gab nie ein hundertprozentiges Zweifeln an dem Weg, den ich gegangen bin. Aber ich habe ganz viele Vorstellungen gespielt, zu denen ich nicht die geringste Lust hatte. Die Bühne kann aber ein guter Katalysator sein. Wenn es ein guter Abend ist, kommt man besser gelaunt von der Bühne runter, als man raufgeht. Ich bin halt manchmal so, dass ich mich in einen Gedanken reinmanövriere, der vom 100sten ins 1.000ste geht, und plötzlich poppen so viele Probleme auf, bei denen man sich denkt, dass man das alles nicht schafft, und bei näherer Betrachtung und beim Durchatmen merkt man dann, dass es gar nicht so schlimm ist.

younited: Hast du eigentlich das Gefühl, dass sich die Zeiten stark verändern?

Thomas Stipsits: Was ich komisch finde ist, dass man heute manchmal dazusagen muss, dass es Satire ist, was ich mache. Die Bereitschaft zum Missverständnis ist größer geworden, das finde ich schon. Ich habe das Gefühl, dass die Beleidigungskultur, oder nein, eher das Beleidigt-sein und die Wehleidigkeit zugenommen haben. Da muss ich jetzt meinen väterlichen Freund Lukas Resetarits zitieren.

Er hat einmal einen super Satz gesagt und zwar: „Die ganz ganz Linken und die ganz ganz Rechten haben einen gemeinsamen Konsens und das ist Humorlosigkeit.“

younited: Magst du vielleicht in die Politik gehen? Als Bundespräsident?

Thomas Stipsits (lacht): Nein, ich bin eh schon in einem sehr dreckigen Geschäft. Es gehen aber leider diese Typen ein wenig verloren, die das Herz auf der Zunge haben. Michi Häupl, zum Beispiel. Der war legendenhaft. Ich kann mich noch an eine Diskussion erinnern, wo irgendwer von den Neos urlang über einen jungen Unternehmer und NLP usw. geredet hat. Michi Häupl hat dann einfach nur gemeint: „Na wos jetzt, soll i erm jetzt helfen oder ned?“
Das find ich super.

younited: Das geht wahrscheinlich heute nicht mehr, wenn du heute was geradeheraus sagst, wirst du auf Social Media zerrissen.

Thomas Stipsits: Man braucht schon echt ein dickes Fell in der Politik. Nämlich nicht nur bei dem, was die Leute sagen, sondern auch parteiintern, wenn sie die ganze Zeit an deinem Stuhl sägen.

younited: Du hast einmal davon gesprochen, dass du aufhören willst. Was ist dran an den Rückzugsplänen?

Thomas Stipsits: Ich will es irgendwie wie STS machen, mich langsam zurückziehen. Ich bin jetzt 41, jetzt sagen wir positiv 35 Sommer noch, und da denke ich mir, die möchte ich in Ruhe verbringen. Also diesen Beruf ganz loslassen, das kann ich eh nicht, aber die Quantität an Arbeit werde ich ganz sicher reduzieren. Ich habe da für mich auch schon einen Plan.

Ich merke auch, dass ich sehr wenig brauche, um glücklich zu sein. Das ist echt eine feine Sache. Am Kutschkermarkt in Wien gibt’s so einen kleinen Laden, in dem die Oma des Besitzers jeden Tag zwei kleine Kuchen macht. Mehr gibt’s nicht. Es gibt nur diese zwei Kuchen. Und das ist so angenehm, wenn man dort reingeht und fragt, ob‘s noch einen Zwetschkenfleck gibt und das letzte Stück noch da ist. Wenn du zu spät kommst, gibt’s halt keinen mehr. Man hat nicht 18.000 Möglichkeiten. Und es schmeckt besonders gut, wenn man das letzte Stück erwischt.

Über Thomas Stipsits

Thomas Stipsits (41) wurde in Leoben (Stmk.) geboren. Er ist Vater einer Tochter und eines Sohnes. Er ist nicht nur erfolgreicher Kabarettist, sondern auch Buchautor. Ein Buch wurde bereits verfilmt und ist im Herbst im ORF zu sehen. Die kommenden Auftritte von Viktor Gernot und Thomas Stipsits mit „Lotterbuben“ sind großteils ausverkauft, Restkarten gibt es z. B. für Herbst in der Arena Nova in Wiener Neustadt.

Interview: Marcus Eibensteiner