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Hier tanzt eine Betriebsrätin

Ein Tag Staatsoper mit Balletttänzerin und Betriebsrätin Céline Janou von Salis-Weder.

Plié, Arabesque, ein schnelles Jeté. Die Luft im verspiegelten Probesaal ist erfüllt von Chopins Klaviermusik. Sie mischt sich unter das leise Klacken von Spitzenschuhen, Tüllröcke rascheln bei jeder Bewegung. Dazwischen konzentriertes Murmeln der Tänzer:innen, die im Kopf ihre Einsätze durchgehen.

Céline Janou schnürt ihre Schuhbänder ein letztes Mal fester. Vor ihr steht ihr junger Tanzpartner, noch unsicher in der Interaktion - sein Blick wandert zu ihr. Sie nickt ihm aufmunternd zu, dann beginnt die Probe.

Ein Tag Hochleistungssport

Célines Wecker klingelt jeden Tag um 7.30 Uhr, um kurz nach 9 gleitet sie unter den prunkvollen Renaissance-Bögen in den Bühneneingang der Staatsoper. Seit 17 Jahren Teil des Wiener Staatsballetts, kennt sie das Haus in- und auswendig. Ihr Schminktisch ist die erste Anlaufstelle. Spitzenschuhe und Haarnadeln stapeln sich auf dem traditionsreichen Holzinterieur. „Mein zweites Wohnzimmer“, sagt sie schmunzelnd und schlüpft in ihr Trikot.

Ihr Arbeitstag beginnt mit Techniktraining. Präzision, Kraft, Kontrolle – die Basics. „Der Körper wird auf Betriebstemperatur gebracht“, sagt Céline. Direkt im Anschluss: eine 3-stündige Probe für die Aufführung am Tag danach. Rund 50 Tänzer:innen wirbeln unter den strengen Blicken der Ballettmeister:innen durch den Saal. Schweißperlen glänzen auf drahtigen Körpern, Spannung bis in die Fingerspitzen.

Die Schattenseiten des Traumberufs

Stärkung gibt es anschließend in der Theaterkantine. Auf Célines Teller landen zwei Eier und eine Bärlauchsuppe. „Viel mehr geht nicht“ gibt sie zu, ein zu schweres Essen würde sich im nachfolgenden Training rächen. Am Tisch Gespräche auf italienisch, englisch, französisch – dazwischen ein Schmäh auf wienerisch. Das Ballettensemble ist international zusammengewürfelt.

Stimmt das Klischee des ständigen Konkurrenzkampfes zwischen den Kolleg:innen? „Jein“, sagt Céline. Grundsätzlich sei es in der Kompanie sehr sozial. „Wir verbringen so viel intensive Zeit zusammen, helfen uns bei Ungerechtigkeiten und sind stolz aufeinander nach Aufführungen.“ Gleichzeitig werden Balletttänzer:innen an der Staatsoper nur mit Jahresverträgen ausgestattet – am Ende jeder Saison kann das Engagement enden. Da es viel mehr Nachfrage als Angebot bei festen Stellen gibt, sei die Belastung hoch. „Da kommt es schon vor, dass man über seine Grenzen geht, um eine Chance zu bekommen. Das kann leicht ausgenutzt werden“, kritisiert Céline. Sie spricht aus eigener Erfahrung.

Zwischen Bühne und Betriebsrat

Mit vier Jahren begann sie ihre Ballettkarriere. Seither steht der Körper permanent unter Hochspannung, jede falsche Bewegung kann eine Verletzung bedeuten. Mit ein Grund, weshalb sich Céline seit fast zehn Jahren im Betriebsrat für das künstlerische Personal engagiert.

„Vor 2015 gab es zum Beispiel keine Physiotherapie für uns. Wir wurden lange nicht als Leistungssportler:innen gesehen, obwohl genau das von uns täglich verlangt wird“, erinnert sie sich. Sie hat mitgeholfen, das zu ändern. „Ich liebe das Ballett. Doch es darf nicht auf Kosten unserer Gesundheit gehen.“ Damit meint sie auch die mentale. Zwischen den Saisonen hat Céline jedes Jahr zwei Sommermonate frei. „Einer davon heißt Kopf ausschalten.“

Kreativität in Bewegung

Zurück in der Garderobe: Zähneputzen und Outfit-Wechsel. 90 Euro Kleiderpauschale gibt es dafür jährlich als Unterstützung, Spitzenschuhe und Schläppchen werden gestellt. Ihre Trainingstasche hat sich Céline selber genäht: Mit sechs Fächern für ihr Equipment, „sowas gibt’s im Laden nicht zu kaufen.“

Die zweite Probe des Tages folgt. Diesmal ein modernes Stück: „Pathétique“ von Ballettdirektor Martin Schläpfer. Viel Bodenkontakt, anmutige Bewegungen in Adagio. 90 Minuten lang wird experimentiert, die Choreografie entwickelt sich erst. Sprachliche Bilder helfen dabei: „Wie eine Tasse, die überläuft“, ruft eine Tänzerin. Céline versucht, das Bild in Bewegung zu übersetzen, fühlt, wie es sich mit der Musik verbindet. Noch zwei Wochen bis zur Uraufführung.

Leidenschaft trotz aller Hürden

Céline ist sich sicher: „Ballett ist Schwerarbeit.“ Wer, wie sie, bis in die 40er tanzt, gehört bereits zu den Älteren – die meisten beenden ihre Karriere weit früher. Und dann? Umschulungen gebe es noch zu wenig, der Wiedereinstieg ins Berufsleben ist unsicher. Céline hat vor kurzem einen Master in Dance Science gemacht. „Ich weiß, dass ich hier nicht in Pension gehen kann.“

Um 18 Uhr endet ihr Trainingstag. Ein ruhiges Wochenende? Falsch, in nicht einmal 24 Stunden ist sie wieder hier. Diesmal auf der Bühne. Denn trotz all der Herausforderungen des Ballettalltags bleibt sie der Kunst treu. Noch immer ist „Schwanensee“ ihre Paraderolle, sie liebt die körperliche Ästhetik des Balletts. Der Applaus des Publikums, die Momente hinter der Bühne – all das sei es wert, sagt Céline. „Aber nur, wenn auch abseits des Rampenlichts die Bedingungen für alle stimmen.“

Text: Katrin Kastenmeier
Bilder: Mila Zytka