Europatag am 9. Mai – Europäische Zuversicht in Zeiten multipler Krisen
Die Geburtsstunde der Europäischen Solidarität
„Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.“ Der Appell von Robert Schuman, einem der Gründerväter der Europäischen Union, ist heute 73 Jahre her – und trotzdem immer noch brandaktuell. Vieles hat sich getan seit der Schuman-Deklaration am 9. Mai 1950. Aus einer Gruppe sich feindselig gegenüberstehender Staaten wurde ein Jahr nach der Erklärung die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Daraus erwuchs später die Europäische Gemeinschaft und schließlich die Europäische Union, wie wir sie heute kennen. Das alles war und ist aber – wie Schuman schon 1950 wusste – kein Selbstverständnis. Vielmehr ist es das Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses, der heute abermals an einem Scheideweg steht.
Die Europäische Union – Zukunft oder Auslaufmodell?
Die EU befindet sich in einer Zeit der multiplen Krisen. Ein Krieg an der Außengrenze, eine Inflationsrate, wie wir sie seit über 40 Jahren nicht mehr hatten, eine immer schlimmer werdende Klimakrise und eine Gesellschaft, in der Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden. All das geschieht, während die Demokratie in Europa sowohl von innerhalb als auch von außerhalb der Union angegriffen und die Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt wird. Betrachtet man diese Lage isoliert, könnte man zu dem Schluss kommen, die EU sei ein Auslaufmodell. Eine nette Idee, deren Zeit langsam aber sicher zu Ende geht.
Schaut man sich aber an, wie man die genannten Probleme auch lösen kann, wird eines klar: Nur durch europäische Solidarität kommen wir aus den multiplen Krisen wieder heraus. Statt nationalstaatliches Klein-Klein müssen wir uns auf die Ziele der Europäischen Union zurückbesinnen und sie zum Fundament der europäischen Zukunft machen.
Solidarität statt Ungleichheit
Im Vertrag über die Europäische Union finden sich in Artikel 3 die Ziele der EU aufgelistet. Neben Werten wie Frieden und Plänen wie die Errichtung des Binnenmarkts findet sich dort ein zentraler Grundsatz: Solidarität. Während in Europa die Inflation das Leben für viele unleistbar macht und in Österreich fast jede sechste Person armutsgefährdet ist, müssen wir uns endlich wieder auf unsere Solidarität besinnen. Weder die Teuerung noch die grassierende Ungleichheit sind vom Himmel gefallen. Beides kann und muss bekämpft werden, und das sowohl auf österreichischer wie auch auf europäischer Ebene. Andere Länder haben mit Preiskommissionen oder regulierten Preisen Schritte gesetzt, um der Inflation entgegenzuwirken. Damit haben sie auch aufgezeigt, wie der Kampf gegen die Teuerung gelingen kann. Wir als Gewerkschaftsbewegung setzen uns dafür ein, dass diese Erfolgsmodelle auch in Österreich angewendet werden. Zugleich muss auf allen Ebenen schnell und konstruktiv gehandelt werden, um der Teuerung zu begegnen und das Leben für die Menschen wieder leistbar zu machen. Die Regierungen der Mitgliedstaaten müssen in ihren Hauptstädten wie auch in Brüssel Maßnahmen zur Bekämpfung der Teuerung und zum Schutz der schwächer gestellten in der Gesellschaft umsetzen und sich auf einen der wichtigsten Grundpfeiler der EU zurückbesinnen: die Solidarität. Denn wie die Gewerkschafterin und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Evelyn Regner schon 2017 sagte: „Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein!“.
Demokratie und Rechtstaatlichkeit stärken
Die Demokratie ist in Gefahr – in der Welt, in der EU und in Österreich. Das ist keine Schwarzmalerei, sondern ein trauriger Fakt. Laut der NGO Freedom House sind 38 % der Bevölkerung auf der Welt „nicht frei“ – der höchste Wert seit 1997. Ähnlich schlecht steht es um einen der Grundpfeiler der Demokratie, die Pressefreiheit. Trotz insgesamt leichter Verbesserung im Pressefreiheitsindex wird nur sieben von 27 Mitgliedstaaten eine „gute Lage“ bei der Pressefreiheit bescheinigt und bei genauso vielen wird die Lage als „schwierig“ eingeschätzt. Auch in Österreich wird die Presse- und Meinungsfreiheit durch den Druck auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und das enge Verhältnis zwischen Medien und Politik bedroht. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, braucht es eine starke Demokratie und einen widerstandsfähigen Rechtsstaat. Wer an Probleme der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie in der EU denkt, landet nicht zu Unrecht gedanklich oft bei Ländern wie Ungarn oder Polen, in denen Pressefreiheit, Justiz und Grundrechte von staatlicher Seite angegriffen werden. Doch auch bei uns in Österreich ist man weit entfernt von einer problemlosen Demokratie, wie der Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU-Kommission belegt.
Gerade deshalb ist eine starke europäische Stimme für die Rechtsstaatlichkeit und gegen die Demokratiefeindlichkeit so wichtig. Zum einen helfen klare europäische Regeln wie der Mechanismus zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit bei der Verteidigung des Rechtsstaats. Andererseits kann europäische Zusammenarbeit, wie wir sie auf Gewerkschaftsebene bereits seit Jahrzehnten erfolgreich praktizieren, dabei helfen, unsere Demokratie weiter zu stärken.
Klimakrise sozial gerecht bekämpfen
Die Fragen, wie wir die Klimakrise aufhalten und einen grünen Übergang schaffen, sind nicht weniger als zwei der fundamentalsten Fragen für die Zukunft der Menschheit. Die Klimakrise kennt keine Nationalstaaten und keine Grenzen. Der grüne Wandel ist nicht verhandelbar, nicht wegdiskutierbar – er ist unsere Realität und unsere Zukunft. Wir bestimmen aber, wie wir diese Zukunft gestalten wollen. Wir als Gesellschaft entscheiden, wie dieser Wandel abläuft und dabei müssen die Zivilgesellschaft und die Gewerkschaften eine entscheidende Rolle spielen. Denn wir müssen dafür sorgen, dass dieser Wandel nicht nur grün, sondern auch sozial gerecht ist. Wir haben eine einmalige Chance, diesen Transformationsprozess zu nutzen. Wir können unsere Gesellschaft nicht nur grüner, sondern vor allem auch sozial gerechter machen. Auf nationalstaatlicher Ebene lässt sich dieser Wandel allein aber nicht umsetzen. Dafür braucht es ambitionierte Klimaschutzpolitik auf EU-Ebene und darüber hinaus. Thomas Kattnig, Mitglied des Bundespräsidiums der younion _ Die Daseinsgewerkschaft, meint dazu: „Mit dem Green Deal, dem Europäischen Klimagesetz und dem Fit für 55-Programm hat die EU bereits wichtige erste Schritte gesetzt, um unser Klima zu schützen. Nun müssen wir als Gesellschaft, als Gewerkschaften und als Europäer*innen daran arbeiten, dass dieser Transformationsprozess hin zu einer grünen Wirtschaft auch zu einer sozial gerechteren EU führt und niemanden zurücklässt.“
Solidarität von der betrieblichen bis zur globalen Ebene
Angesichts der multiplen Krisen – von Teuerung über Klimakrise bis zu den Gefahren für unsere Demokratie – steht die EU heute vor so vielen Aufgaben wie lange nicht mehr. Dieser Katalog an Herausforderungen zeigt aber auch, wie wichtig die EU nach wie vor ist. Auch 73 Jahre nach Robert Schumans berühmter Rede ist die europäische Solidarität zugleich Voraussetzung und Hoffnungsträger dafür, dass wir die Probleme unserer Zeit bewältigen können. Wenn wir auf allen gesellschaftlichen Ebenen – vom eigenen Betrieb bis in die internationalen Institutionen – solidarisch zusammenarbeiten, schaffen wir ein gutes Leben für Alle.
Weiterführende Informationen:
Geschichte des Europatags
Die Schuman-Erklärung – Grundstein für die Europäische Union
Events rund um den Europatag
Quellen:
Amtsblatt der Europäischen Union, Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung – BAK, Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), derstandard.at, Die Armutskonferenz, Europäische Kommission, Europäische Union, Europäischer Rat/Rat der Europäischen Union, evelyn-regner.at, Freedom House, OXFAM International, Reporter ohne Grenzen, Reporter ohne Grenzen Österreich, SPÖ-Parlamentsklub, Statistisches Bundesamt (Destatis), Wirtschaftskammer Österreich;