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pixabay / geralt

Erschöpfung und Antriebslosigkeit trotz Genesung: Long-COVID

Internationalen Schätzungen zufolge leiden rund zehn Prozent der COVID-19-Erkrankten 12 Wochen nach Erkrankungsende an schweren Langzeitfolgen, die sie in ihrem Alltag und Berufsleben extrem einschränken.

Während eine akute COVID-19-Infektion in der Regel bis zu vier Wochen andauert, entstehen bei rund zehn der betroffenen Personen auch Wochen und Monate nach der Ansteckung Symptome bzw. bleiben diese auch über diesen Zeitraum hinaus bestehen.

ExpertInnen sprechen diesbezüglich von Long-COVID oder auch „Post-COVID-19-Syndrom“ – und es kann jeden treffen!  Erwachsene, Kinder und Jugendliche, Menschen ohne Vorerkrankungen und Personen mit moderaten oder schweren Krankheitsverläufen. Interessant dabei ist, dass der Schweregrad der akuten COVID-19-Infektion darauf keinen Einfluss hat.

Verschiedene Krankheitsbilder bei Long-COVID

Long-COVID ist Gegenstand zahlreicher laufender Untersuchungen. Aufgrund der Neuartigkeit des Krankheitsbilds und den sehr unterschiedlichen klinischen Verläufen sind sowohl die Risikofaktoren als auch die Dauer der Langzeitfolgen sowie mögliche Folgeschäden derzeit noch nicht vollständig geklärt. Die Beschwerden reichen von schwerwiegenden Lungenschäden bis zu schweren neurologischen oder psychiatrischen Störungen. Zu den häufigsten Symptomen von Long-COVID zählt die Fatigue (ein Zustand anhaltender Müdigkeit, chronischer Erschöpfung und Antriebslosigkeit).

Long-COVID ist (meist) weiblich

Was sich diesbezüglich aber klar abzeichnet ist die Tatsache, dass vor allem Frauen im jungen und mittleren Alter betroffen sind. Leiden eher Männer an schwerwiegenden Verläufen bei der akuten COVID-19-Erkrankung, sind laut Studien aus Großbritannien für weiße Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren mit und ohne Vorerkrankungen, die Chancen fünfmal so hoch, nach einer Covid-19-Infektion Langzeitbeschwerden zu entwickeln. Im Vergleich zu den Männern wiesen sie doppelt so oft schwere Erschöpfungssymptome auf, siebenmal häufiger Atemnot. Die Erhebung des französischen Krankenanstaltenverbunds Assistance Publique – Hôpitaux de Paris (Juli 2020) bestätigt hinsichtlich Long-COVID ein Geschlechterverhältnis Frauen zu Männer 4:1. Auch in Österreich zeigt sich dieser signifikante Unterschied zwischen den Geschlechtern.  Laut AKH Wien sind 76 Prozent der behandelten PatientInnen Frauen, die wegen Folgeschäden behandelt werden müssen (Quelle: Der Standard 2021)

Der lange Schatten von Corona trifft auch die Arbeitswelt

Derzeitige Einschätzungen gehen davon aus, dass rund 60.000 Personen in Österreich an Long-COVID leiden und langfristig betreut werden müssen. Auch viele Betriebe wurden von diesem Phänomen erreicht und müssen sich auf die Spätschäden einstellen. Betroffene MitarbeiterInnen weisen eine geringere Leistungsfähigkeit auf und schaffen ihr Arbeitspensum nicht mehr. Der Leidensdruck ist enorm, denn oft ist ein normaler Alltag nicht mehr möglich und die Angst um den Job sehr groß. Leider ist es oft noch so, dass die notwendige Akzeptanz bei den Arbeitgebern fehlt und die Betroffenen auf Unverständnis stoßen. Gerade in diesem Zusammenhang kommt den Führungskräften eine wichtige Schlüsselfunktion zu.

Sie müssen im Sinne ihrer gesetzlichen Fürsorgepflicht Entlastungen schaffen (z.B. flexiblere Arbeitszeiten für Betroffene, Anpassung der Arbeitsaufgaben, längere Ruhezeiten, externe Hilfen), damit Rückfälle langfristig vermieden werden.

„Spätestens jetzt sollten Unternehmen die physische und psychische Gesundheit zur Führungsaufgabe machen. Wichtig ist, dass Führungskräfte entsprechend für Long-COVID und den gravierenden Auswirkungen sensibilisiert werden und gemeinsam mit den Betroffenen und den zuständigen Präventivfachkräften Unterstützung und Lösungen für die stufenweise Wiedereingliederung finden“, so Sonia Spiess, Referat Gesundheit, Humanisierung und Inklusion der younion. Betroffene sollten sich nicht scheuen ihre Grenzen aufzuzeigen und auf jeden Fall alle Möglichkeiten nutzen (z.B. betriebliche Angebote, spezialisierte Ambulanzen, HausärztInnen), um ihre Gesundheit wieder völlig herzustellen.

Therapiezentren für Long-COVID

So vielfältig die mögliche Symptomatik von Long-COVID ist, so individuell muss der Behandlungsplan auf jede Betroffene/jeden Betroffenen angepasst werden. Dass die Corona-Langzeitfolgen langsam auch als ein gesellschaftliches Problem gesehen werden, zeigt sich neben einer intensiveren Forschung auch daran, dass bundesweit Angebote für Rehabilitation, Beratung und ambulante Hilfe rund um Long-COVID im Entstehen sind. Auch die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) plant die Erstellung eines wissenschaftlichen Registers sowie die Eröffnung von vier eigenen Häusern. 

Neues Hintergrundpapier der WHO

Vor diesem Hintergrund haben WHO/Europa und das Europäische Observatorium für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik ein neues Hintergrundpapier veröffentlicht, in dem Entscheidungsträger aufgefordert werden, betroffene PatientInnen auf der Grundlage des derzeitigen Kenntnisstandes zu unterstützen. Es ist eine Zusammenfassung der Erkenntnisse über das Phänomen Long-COVID, über die Fallzahlen der Betroffenen, mögliche Diagnose- und Behandlungsmethoden und zeigt Handlungsoptionen für die Erarbeitung von Gegenmaßnahmen auf. In dem Leitfaden wird betont, dass nationale und internationale Studien in Zusammenarbeit mit PatientInnen und Leistungserbringern erforderlich sind, um die klinischen Auswirkungen des Post-COVID-Syndroms zu verstehen.

Spiess: “Langfristig müssen wir uns auf eine erhebliche Zahl von Long-COVID-Erkrankten einstellen, deren umfassende Behandlung große Herausforderungen für viele Bereiche darstellen. Daher sind vor allem die politischen Entscheidungsträger aufgerufen diese Situation ernst zu nehmen und so rasch wie möglich Taten zur deren Bewältigung zu setzen.“

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