„Die Lösung heißt Gemeinwohl und Mitgefühl“
Klimaforscherin Helga Kromp- Kolb verliert im Interview über den Klimawandel nicht die Hoffnung. Auch wenn sie manchmal frustriert schlafen geht.
younited: Ich würde Ihnen gerne eine Zeitreise schenken. Entweder 60 Jahre vor oder 60 Jahre zurück. Welche nehmen Sie?
Helga Kromp-Kolb: 60 Jahre vor, mich würde es interessieren, wie es in 60 Jahren ausschaut. Haben wir es gelernt, oder haben wir es nicht gelernt? Möglich, dass ich dann in einer völlig verwüsteten, dürren Welt lande, ich weiß es nicht. Aber es würde mich schon interessieren.
younited: Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass es eine dürre Welt sein wird?
Helga Kromp-Kolb: Ich versuche jetzt das Richtige zu tun, egal was kommen könnte. Damit kann ich immer noch hoffen und alles tun, damit die Hoffnung Realität wird. Also konkret, wenn ich mich jetzt zum Beispiel weniger abhängig mache von Produkten, die von irgendwo herkommen, wenn ich mich weniger abhängig mache von Energie, wenn ich mich weniger abhängig mache von allen möglichen technologischen Hilfsmitteln, die mir möglicherweise infolge des Klimawandels nicht mehr zur Verfügung stehen werden, dann spare ich jetzt Ressourcen und Energie. Und das ist genau das, was wir brauchen. Und ich leide auch weniger, sollte es schlimm kommen. Wenn es dann doch nicht so schlimm kommt, habe ich trotzdem profitiert.
younited: Würde es Sie beruhigen, zu sehen, dass Sie Recht gehabt haben mit den Klimavorhersagen?
Helga Kromp-Kolb: Nein. Diese ‚Beruhigung‘ habe ich jetzt schon 30 Jahre lang. Und ich finde sie nicht wahnsinnig erbaulich. Wenn man vor etwas Schlimmem warnt und es tritt ein, dann ist es keine Befriedigung. Mir wäre es wesentlich lieber, wie es zum Beispiel mit dem Waldsterben war. Da war auch die Warnung der Wissenschaft, dass die Bäume zugrunde gehen, wenn wir weiter so viel Schwefeldioxid und Stickoxid in die Atmosphäre einbringen. Damals ist reagiert worden und die Wälder sind nicht gestorben. Jetzt wird uns zwar vorgeworfen, die Warnungen waren unbegründet. Aber wir wissen, dass es eben die Maßnahmen waren und nicht der Zufall oder eine falsche Prognose. Aber es ist befriedigend, dass es nicht passiert ist. Es wäre nicht befriedigend, wenn wir tatsächlich ohne Wälder dastünden.
younited: Auch der Klimawandel wird angezweifelt. Warum setzen Sie sich nach wie vor diesen Anfeindungen aus?
Helga Kromp-Kolb: Ich glaube, es geht einfach nicht anders, wenn man Klimawissenschaftlerin ist. Früher hat es immer geheißen, die Wissenschaft ist objektiv, sie beobachtet und beschreibt nur. Aber sie mischt sich nicht ein. Ich glaube, die Zeit ist vorbei. Wir müssen uns einmischen.
younited: Trump, Kickl & Co. leugnen bzw. verharmlosen den menschengemachten Klimawandel immer wieder öffentlich. Gehen Sie nicht manchmal frustriert schlafen?
Helga Kromp-Kolb: Ja, oft (lacht dabei). Aber für mich ist das so wie beim Bergsteigen. Das Gipfelkreuz ist immer noch weit weg, aber wenn man zurückschaut, sieht man, dass man einen ziemlichen Weg zurückgelegt hat. Es geht ja auf der lokalen Ebene viel weiter. Im Bereich der Gemeinden tut sich viel, bei vielen Wirtschaftsbetrieben und auch bei Einzelpersonen. Der Klimawandel ist nach wie vor unter den Top 3 Themen in der Bevölkerung. Jede Einzelne und jeder Einzelne merkt einfach, dass sich das Klima ändert, dass es heißer wird, dass es weniger regnet, dass es neue Schädlinge gibt. Es ist ja allen bewusst. Aber die Konsequenz daraus zu ziehen – was heißt das? Was muss ich jetzt tun? Das fehlt noch bei einigen. Ich denke mir immer, die Bauern müssten eigentlich ununterbrochen auf der Straße und vorm Landwirtschaftsministerium mit ihren Plakaten stehen. Tun sie aber nicht. Höchstens fehlgeleitet protestieren sie, wenn es um Renaturierung oder sowas geht, also völlig in die falsche Richtung. Wir müssen mehr Druck auf die Politik machen.
younited: Einige sind der Meinung, dass der Klimawandel Vorteile bringt. Sie können öfter im Gastgarten sitzen oder öfter im Jahr grillen – und so schlimm wird’s schon nicht …
Helga Kromp-Kolb: Die Erwärmung schreitet leider viel schneller voran, als wir dachten. Temperaturen, die wir jetzt in Österreich messen, wurden eigentlich erst 2035 oder 2040 erwartet. Die Klimamodelle müssen nachgeschärft werden. Eine der großen Unsicherheiten im Klimasystem ist die ozeanische Zirkulation. Vom Golfstrom hängt unser mildes Klima ab. Wenn das Grönlandeis schmilzt und der Strom kollabiert, wird der Atlantik kalt. Dann wird es bei uns kalt, trocken und stürmisch. Es ist leider nicht mehr wirklich die Frage, ob das passiert, sondern nur wann. Eine neue wissenschaftliche Arbeit geht etwa vom Jahr 2050 aus – mit einer Unsicherheitsbandbreite zwischen 2025 und 2095. Das heißt, es könnte auch heuer sein. Ich kann mich nicht zurücklehnen und sagen, mich wird es nicht mehr treffen, ich mache mir ein schönes Leben.
younited: Hilft der mögliche Zusammenbruch des Golfstroms gegen die Erwärmung?
Helga Kromp-Kolb: Innerhalb von zehn Jahren würde es, laut einer Studie, in Wien im Sommer um ungefähr ein Grad abkühlen, im Winter um 5 bis 7 Grad. In Skandinavien wäre die Abkühlung mit minus 35 Grad dramatisch. Es verschiebt sich aber auch der ganze Monsun-Gürtel und das würde Hungersnöte in Afrika und Asien auslösen. Außerdem würde der Amazonas-Regenwald wahrscheinlich kollabieren. Insgesamt ein planetarer Notstand. In unserem Klimasystem sind selbstverstärkende Prozesse eingebaut. Wenn diese zum Überschreiten von Kipppunkten führen – wie beim Golfstrom – dann verändern sich die Systeme total. Deswegen ist die Vorstellung, dass es, wenn wir nichts tun, halt allmählich immer wärmer wird und wir damit schon irgendwie zurechtkommen, einfach falsch.
younited: Jetzt sitzen wir ein bisschen in einer Pessimismusfalle. Also ich zumindest. Was macht Hoffnung?
Helga Kromp-Kolb: Zum Beispiel sind die erneuerbaren Energien nicht mehr aufzuhalten. Trump & Co. Können das höchstens verzögern. Selbst Texas, das Trump-freundlichste Bundesland in den USA, setzt auf erneuerbare Energie – einfach, weil sie billiger ist. Ich sehe auch wieder Gemeinschaft in den Gemeinden entstehen. Das ist der Beginn gesellschaftlichen Wandels: Wir schauen wieder auf unsere Nächsten, lösen die Probleme gemeinsam. Das kann zu einer wesentlich besseren Welt mit höherer Lebensqualität führen. Dann hat nicht jede beziehungsweise jeder ein Auto, kommt aber trotzdem dorthin, wo sie oder er hin muss. Und zwar relativ einfach und billiger als mit dem eigenen Wagen. Nicht Geld, Ruhm und Macht leiten uns, sondern Zusammenarbeit, Gemeinwohl, Selbstwirksamkeit und Mitgefühl. Also das, was eigentlich auch jede Religion lehrt.
Über Helga Kromp-Kolb
Helga Kromp-Kolb ist Klimaforscherin. Sie wurde 1948 in Wien geboren und lehrt noch immer an der Universität für Bodenkultur. Mehrfach wurde sie Staatsmeisterin im Orientierungslauf und war mehrere Jahre Trainerin der Nationalmannschaft. Ihr aktuelles Buch trägt den Titel „Für Pessimismus ist es zu spät“.