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Das hat nichts mit Liebe zu tun!

Sexarbeit wird oft „bezahlte Liebe“ genannt, aber mit Liebe hat dieses Geschäft rein gar nichts zu tun.

Die Wiener Magistratsabteilung 15 betreut mehr als 1.800 Sexdienstleister:innen.

Seit den 1970er-Jahren ist Sexarbeit in Österreich legal. Allein der Gesundheitsdienst der Gemeinde Wien (Magistratsabteilung 15) betreut mehr als 1.800 Sexdienstleister:innen.

Das 13-köpfige Team der MA 15 besteht aus Ärzten und Ärztinnen, Sozialarbeiter:innen und administrativen Kräften. „Für uns sind die Frauen und Männer keine Patient:innen, sondern Klient:innen, die einen Anspruch auf ihre Gesundheit haben“, sagt Thomas Fröhlich, Teamleiter der Sozialarbeiter:innen.

Alle sechs Wochen müssen sich Sexdienstleister:innen auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen, alle 12 Wochen auf HIV und alle 12 Monate auf eine Tuberkuloseerkrankung. Nur so gibt es die „grüne Karte“, also eine Arbeitserlaubnis. Im Jahr 2023 begleitete das Team der Sozialarbeiter:innen 724 Klient:innen längerfristig. Dabei ging es um viel mehr als nur um die sexuelle Gesundheit.

VIELE HUNGERN SOGAR

„Die Sexarbeit ist ein mentaler und körperlich herausfordernder Job. Viele erleben Gewalt, viele müssen aufgrund von fehlenden Kund:innen hungern, viele sind auch vom Job psychisch am Ende“, erzählt Thomas Fröhlich. Und er weist auf etwas hin, was viele bei dem Thema vergessen: „Sexdienstleister:innen haben nicht nur ihre Arbeit. Sie sind auch Partner:innen und Erziehungsberechtigte, haben genauso Probleme in Beziehungen oder leiden an Heimweh.“

HAUPTGRUND: ARMUT

97 % der gemeldeten Sexdienstleister:innen kommen nicht aus Österreich. Sie stammen vor allem aus Rumänien, China, Ungarn, Bulgarien, der Slowakei oder Nigeria.

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum man Sexdienstleister:in in Österreich wird, meistens liegt es aber an der eklatanten Armut. Viele schicken das in unserem Land verdiente Geld an ihre Familien.

ELF KUND:INNEN AM TAG

Dabei geht es nicht einmal um viel Geld. Durchschnittlich hat ein:e Sexdienstleister:in, laut Statistik der Landespolizeidirektion Wien, elf Kund:innen am Tag.

Pro Kund:in verdienen Sexdienstleister:innen, abzüglich z. B. der Miete in einem Laufhaus, durchschnittlich 30 Euro. Es gibt aber auch Tage, an denen keine Kund:innen vorbeikommen. Und Steuern müssen auch noch bezahlt werden.

„Durch die regelmäßigen Untersuchungen sehen wir die körperlichen und mentalen Veränderungen, vor allem bei jenen Personen, die mit dieser Arbeit beginnen“, erzählt Thomas Fröhlich. Er berichtet von Essstörungen und vom Tragen von Sonnenbrillen – wegen eines blau geschlagenen Auges.

ZUM VERZICHT GEZWUNGEN

Die Magistratsabteilung 15 führt auch sogenannte Orientierungsberatungen durch. Dabei wird den angehenden Sexdienstleister:innen genau erklärt, was Sexarbeit überhaupt bedeutet, welche Herausforderungen es gibt und wer im Notfall helfen kann. 1.190 dieser Beratungen wurden allein im vergangenen Jahr durchgeführt.

„Teilweise sind es 18-Jährige ohne jegliche Vorahnung. Wenn ich denen erklären möchte, wie man ein Kondom verwendet, beginnen sie zu kichern oder wollen es gar nicht erst angreifen, weil es glitschig ist“, erzählt Thomas Fröhlich mit einem hinterfragenden Gesichtsausdruck. Fröhlich weiter: „Ich versuche dann ein Bewusstsein zu schaffen, worauf sie sich da einlassen.“

Dabei erzählt Thomas Fröhlich auch, dass Sexdienstleister:innen oft gezwungen werden, ohne Kondom zu arbeiten, denn die Konkurrenz ist groß. Kein Kondom zu verwenden, bedeutet allerdings ein hohes Gesundheitsrisiko oder schwanger zu werden.

Viele Betreiber:innen der Rotlichtbetriebe sind auf jeden Fall keine Hilfe. Sie nehmen teilweise sogar die Ausweise der Sexdienstleister:innen ab, damit sie nicht in ihr Heimatland zurückkehren können. Allerdings bieten die Häuser auch ein gewisses Maß an Schutz gegenüber den Kund:innen.

DIE GANZE BRUTALITÄT

Während der Corona-Pandemie haben Sexdienstleister:innen sehr viel Gewalt erlebt, da sie gezwungen wurden, in die Wohnungen der Kund:innen zu gehen.

Einige wurden für ihre Leistungen danach nicht einmal bezahlt. „Sexdienstleister:innen kriegen die Brutalität und die Respektlosigkeit auch jetzt noch tagtäglich ungefiltert ab“, sagt Thomas Fröhlich.

Mit verstärkten Kontrollen darauf zu reagieren, ist schwierig, denn dazu fehlt einfach das Personal. Immerhin sind 312 Rotlichtbetriebe in Wien gemeldet, hinzu kommen zwei Straßenstriche im 21. und 23. Bezirk.

Unmittelbar wünscht sich Fröhlich bessere Rahmenbedingungen für Sexdienstleister:innen. Laut ihm fehlt es an sexueller und feministischer Bildung.

„SEXARBEIT IST ARBEIT“

Thomas Fröhlich hält zum Schluss fest: „Sexarbeit bleibt eine Dienstleistung, die von den Kund:innen als solche auch respektiert werden muss. Sexdienstleister:innen müssen wertgeschätzt werden und ein ‚Nein‘ von ihnen muss auch akzeptiert werden. Egal wie lustvoll oder intim der Kontakt ist, bleibt es eine Dienstleistung, die anständig und fair bezahlt werden muss. Es ist, was es ist – nämlich ein professioneller Kontakt und keine Liebesgeschichte.“

WAS WISSEN SIE ÜEBR DIE LIEBE, HERR FRÖHLICH?
„Liebe ist, jeden Tag den Weg vom ‚Ich‘ zum ‚Du‘ zu gehen.“

Text: Celeste-Sarah Ilkanaev