Das erste Mal Wald
„Leben hier auch Krokodile und Gazellen?“ – Nach einem Tag in der Waldschule des Wiener Forstamtes werden solche Fragen nicht mehr gestellt. Dann kennen sich die Stadtkinder in der heimischen Natur schon besser aus.
Es ist ja nicht so, dass die Kinder von heute Wald nicht kennen. Im „Landwirtschafts-Simulator 15“ zum Beispiel kann ein eigener Wald aufgezogen und bewirtschaftet werden. Auch im „Seilbahn-Simulator“ und im „Garten-Simulator“ spielen Bäume eine gewisse Rolle. Das erfordert nur ein bisschen Geschick mit der Computermaus. Aber nicht alle Kinder, die die Waldschule der Magistratsabteilung 49 (Forstamt und Landwirtschaftsbetrieb der Stadt Wien) besuchen, haben schon jemals in ihrem Leben echten Waldboden betreten. So einen gatschigen, wo kleine Tiere leben, wo Blätter vermodern, wo neues Leben entsteht.
Dann macht er den Kreis immer größer, größer und größer. Jetzt sehen die Kinder, welchen Durchmesser der dickste Baum der Welt hat. Auf den Meter genau stimmt’s natürlich nicht. Auch deshalb, weil ein bisschen darum gestritten wird, ob der dickste Baum der Welt der Árbol del Tule in Mexiko ist (14 Meter Durchmesser) oder der wuchtige „Kastanienbaum der hundert Pferde“ (20 Meter) auf Sizilien. Ist aber irgendwie egal.
Mehr Wissen über die Lugner-City
Waldpädagoge Hans Plaukovits-Starlinger: „Viele Kinder kennen sich in der Lugner-City besser aus als in der Natur. Das ist wirklich erschreckend.“ Es zeigt aber umso deutlicher, wie wichtig die vor 18 Jahren von der MA 49 gegründete Waldschule in Ottakring ist. Josef Ebenberger, Oberforstrat und Leiter der Waldschule: „Jedes Jahr besuchen uns allein hier rund 4.000 Kinder. Schulklassen können sich völlig kostenlos anmelden. Uns ist es wichtig, dass die Kinder den Wald im wahrsten Sinne des Wortes begreifen.“
Nicht mit dem Bus, sondern zu Fuß
Das beginnt schon damit, dass die Kinder nicht einfach mit dem Bus vorfahren. Los geht’s bei der Feuerwache Steinhof, circa 20 Gehminuten von der eigentlichen Waldschule entfernt. Dort werden die Kinder auf einer kleinen Wiese auf diesen besonderen Tag eingestimmt. So wie die Erstklassler aus der Volksschule Kindermanngasse. Hans Plaukovits-Starlinger lässt sie gleich einmal einen Kreis bilden. Zuerst relativ eng beieinander. Das soll den Kindern zeigen, wie dick der mächtigste Baum im Wienerwald ist.
Das Borkenkäfer-Spiel
Den Kindern gefällt der „Schulbeginn“ schon einmal. Und sie lernen gleich anschließend beim „Borkenkäfer-Spiel“, dass es auch Schädlinge im Wald gibt. Da findet Hans Plaukovits-Starlinger eine Eichel am Boden und zeigt sie her. Ein paar Kinder erkennen diese Nussfrucht sofort. Ein gutes Zeichen, dass die Schüler aus der Kindermanngasse schon mehr gesehen haben als Bildschirme und Simulatoren. Dann geht’s zum ersten Baum. Da stellt Lenny eine Frage, die ein Landkind wahrscheinlich nie stellen würde: „Darf man den auch angreifen?“ Ein paar Knirpse stürmen zum Baum und befühlen aufgeregt die Rinde.
Entspannte Kinder
Das Kuddelmuddel ist aber schnell wieder vorbei. Das liegt einerseits an der Ruhe, die Hans Plaukovits-Starlinger ausstrahlt, und andererseits an einem gewissen Phänomen, das der Wald verursacht. Josef Ebenberger: „Die Kinder sind bei uns ab der ersten Minuten wesentlich entspannter. Das liegt wahrscheinlich daran, dass im Wald Stille herrscht. Das kennen die Kinder eigentlich gar nicht.“ Außerdem wird die „Rangordnung“ in der Klasse durcheinandergebracht. Das zeigt sich vor allem, wenn’s ums Schnitzen oder Feuermachen geht. Da treten vermehrt Kinder mit Migrationshintergrund hervor. Josef Ebenberger: „Sie sagen immer, dass sie das von den Großeltern gelernt haben. Da haben sie einmal einen Startvorteil.“
Der Weg ins Schulgebäude
Auf dem Weg in die eigentliche Waldschule erklärt Hans Plaukovits-Starlinger, was im Wald alles wächst. So findet er zum Beispiel einen jungen Bärlauch. „Ich nenne ihn immer Pizzastange, weil er so nach Knoblauch riecht. Der ist heuer besonders früh dran.“ Ein paar Kinder rutschen am Weg hinauf aus. Der Gemeindebedienstete: „Manche müssen sich erst wieder gewöhnen, sich auf unwegsamen und gatschigen Boden zu bewegen. Aber so richtig verletzt hat sich in all den Jahren noch niemand.“
Echter Ofen, echtes Feuer
Gleich beim Betreten des Waldschul-Gebäudes steht etwas, was manche Kids bisher auch nur aus dem Fernsehen kannten. Ein echter Ofen, mit echtem brennendem Holz. Zum Aufwärmen gibt’s zusätzlich noch heißen Tee. So werden die kleinen Wangen ganz schnell ganz rot. Dann geht der „Unterricht“ auch schon weiter. Die Kinder können dabei die erklärten Stammscheiben, Wurzeln und Geweihe nicht nur anschauen, sondern auch angreifen. Auch die präparierten Wildtiere dürfen gestreichelt werden. So wissen die Kids ruckzuck, wie ein Dachs aussieht, betasten die mächtigen Eckzähne des Wildschweins oder die Schwimmhäute des Bibers.
Der echte Wald
Dann geht’s wieder raus in den echten Wald. Aber mir nichts, dir nichts ist der Tag auch schon wieder vorbei. Die Kinder verabschieden sich und kurz denkt Hans Plaukovits-Starlinger darüber nach, wie seine Arbeitstage früher aussahen. Als er 20 Jahre lang als Forstfacharbeiter im Wald schuftete. Der Gemeindebedienstete: „Ich weiß sehr gut, dass der Wald nicht nur romantisch sein kann.“ Auch das hat er den Kids mit auf den Heimweg gegeben.
aus younited Frühling 2016
Infos zur Waldschule Ottakring: https://www.wien.gv.at/umwelt/wald/bildung/waldschule-ottakring.html