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Aus dem Krisenzentrum zur Mutmacherin

Jaqueline Caia arbeitet heute dort, wo einst über ihr Leben entschieden wurde. Sie kennt beide Seiten der Wiener Kinder– und Jugendhilfe aus eigener Erfahrung. Aus dem Krisenzentrum zur Mutmacherin 14

„Viele Geschichten, die ich hier mitbekomme, haben Gemeinsamkeiten mit meiner eigenen Kindheit“ sagt Jaqueline Caia.

Eine Kindheit, die geprägt ist von ständigem Wandel und Unsicherheiten. Als Dreijährige kommt Jaqueline mit ihrer jüngeren Schwester in ein Krisenzentrum der Wiener Kinder und Jugendhilfe. Die folgenden Jahre verbringt sie in betreuten Wohngemeinschaften. „Ich war ein ziemlich zurückgezogenes Kind.“

Während sie das erzählt, sitzt sie aufrecht im Kaffeezimmer des alten Amtshauses, die hellen Augen haben einen sicheren Blick. Wenn die 21-Jährige spricht, hört man sofort zu. Ihre Worte tragen eine Erfahrung in sich, die viele in ihrem Alter nicht haben. Heute sitzt sie dort, wo als Kind über ihre Zukunft entschieden wurde. Nur eben auf der anderen Seite des Schreibtisches der MA 11.

Aufarbeitung der Vergangenheit
Dabei steht erst kurz vor Ausbildungsbeginn fest, wo sie ihr erstes Lehrjahr als Verwaltungsassistentin der Stadt Wien verbringen soll. „Ich war richtig glücklich, als ich wusste, es geht zur MA 11“, strahlt die 21-Jährige. Verbindet sie denn gar nichts Negatives mit diesem Ort? „Heute kann ich sicher sagen: Es war nicht alles schlecht daran, wie ich aufgewachsen bin. Mir wurde hier ja wirklich geholfen.“ Es dauere nur eine Weile, bis man das versteht.

Durch die Ausbildung hat Jaqueline die Möglichkeit, ihre Vergangenheit besser einzuordnen. „Weil ich sehe, wie es hinter den Kulissen läuft, klären sich Situationen auf, die als Kind große Fragezeichen waren.“

Was auch klar wird: Wie anspruchsvoll die Arbeit in den Krisenzentren ist und wie wenig sie in der Öffentlichkeit verstanden wird. „Viele sehen nur: Kinder werden den Eltern weggenommen“, sagt Jaqueline. Vergessen werde dabei, dass es um Schutz und Chancen geht. „Ich bin das beste Beispiel dafür“, schmunzelt sie.

Anderen Mut machen
Mit sechs Jahren ermutigt eine Sozialpädagogin Jaqueline, ein Musikinstrument zu lernen. In diesem Moment öffnet sich eine neue Welt. „Die Musik war etwas, das nur mir allein gehört hat.“ Und etwas, das sie längerfristig auch von bösen Gedanken und schlechten Ideen abgehalten habe, gibt sie augenzwinkernd zu.

Mit ihrer Geschichte möchte Jaqueline auch anderen Jugendlichen Mut machen. Beim Jugendredewettbewerb machte sie ihre Vergangenheit vor kurzem öffentlich. In der Rede „Der Klang des Aufwachsens – Wie Musik Kindern Halt und Identität gibt“, erzählt sie von der Musik als Rettungsanker. Sie gewann das Landesfinale in Wien und erreichte beim Bundesfinale den zweiten Platz. „Ich hätte auch ein unverbindliches Thema nehmen können. Aber ich wusste: Persönliches wirkt stärker.“

Die MA 11 hat ihren Ruf nicht verdient
Nach der Lehre plant Jaqueline Soziale Arbeit zu studieren. Anders als in der Sozialpädagogik ist sie dann nicht direkt für die Erziehung der Kinder verantwortlich, sondern kann sie auf andere Weise unterstützen. Aus eigener Erfahrung weiß sie: „Für Kinder ist es wichtig, von ihren eigenen Eltern großgezogen zu werden. Die MA 11 sollte dabei nur Unterstützung sein."

Gleichzeitig kennt sie die Herausforderungen genau: „Es fehlt an Personal und Ressourcen, es gibt zu wenig Unterbringungen, Wohngemeinschaften und Krisenzentren. Oft bleibt kaum Zeit, sich wirklich intensiv mit jeder Familie auseinanderzusetzen.“ Trotzdem ist sie überzeugt: Die MA 11 hat ihren schlechten Ruf keinesfalls verdient.

Aus Erfahrung Zukunft gestalten
Ihr Rat an alle, die einen sozialen Beruf anstreben, ist einfach: „Ein echtes Interesse am Menschen sollte immer die Grundlage sein.“ Ihre eigenen Vorbilder waren lange Zeit die Sozialpädagog:innen, heute ist es ihre jüngere Schwester, die dasselbe durchgemacht hat wie sie.

In ihrer Freizeit schreibt Jaqueline aktuell an einem Drama und engagiert sich gewerkschaftlich als Funktionärin in der Hauptgruppe 1 Jugend der younion. „Vielleicht werde ich künftig auch Podcasts machen und Fragen von Kindern und Erwachsenen beantworten“, sagt sie, und man spürt, dass sie es ernst meint.

Empathie und Einsatz
Denn was Jaqueline vermittelt, ist mehr als Theorie. Es sind Erfahrungen, die sie selbst durchlebt hat und die sie mit spürbarer Empathie und Verantwortungsbewusstsein weitergibt. „Ich wünsche mir, dass man auf meine Generation zurückblickt und sagt: Sie haben sich eingesetzt, damit es anderen in schwierigen Lebenslagen besser geht.“

Text: Katrin Kastenmeier