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„Anstand, Mut und Wahrhaftigkeit!“

Die Künstlerin Erika Pluhar im Interview über das Frau-Sein, ihre jugendliche Magersucht, und warum es kein Herbert- Kickl-Lied gibt.

younited: Sie sind im Februar 85 Jahre alt geworden. Allein im Oktober haben Sie zehn Auftritte. Was ist Ihr Geheimnis?

Erika Pluhar: Ich mache keine Fitness, gehe nur jeden Tag mindestens eine halbe Stunde spazieren. Der Kopf und der Körper scheinen noch zu funktionieren. Alle meine Auftritte sind bummvoll, ich hab wirklich eine Zuwendung. Ich glaube, das hat auch was mit meinem Alter zu tun, weil ich noch aufrecht stehen und singen kann (lacht).

younited: Diese Ausgabe ist ganz dem Thema Frauen gewidmet. Sie mögen den Begriff Feministin nicht, haben aber immer für Frauenrechte gekämpft. Wie beurteilen Sie die heutige Situation?

Erika Pluhar: Ich habe schon in jungen Jahren begonnen, für das Frau-Sein zu kämpfen. Frauen sind nicht besser, nicht schlechter, Frauen sind Menschen. Wenn wir uns weltweit umschauen, wird das in keinster Weise beachtet. Frauen werden weltweit schlimmer behandelt als Tiere. Hierzulande haben wir zum Glück einiges erreicht. Auch wenn es immer noch mehr Mühe bedeutet als für einen Mann, können sich Frauen heute bei uns verwirklichen, also wirklich das tun, was sie gern möchten. Das war aber ein harter Kampf. Mir wurde am Anfang zum Beispiel nicht geglaubt, dass meine Liedtexte von mir sind und nicht vom André Heller (Anm. d. Red.: damals mit ihm verheiratet). Ich glaube, meine Generation hat viel erreicht.

Im Moment ist es so, dass ich manchmal das Gefühl hab, dass durch das Gendern – das übertriebene Gendern – sehr viel Äußerlichkeiten bedient werden. Das, worum es mir geht, das selbstverständliche Frau-Sein, oder sein können was man ist, das wird dann vergessen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist mir viel wichtiger als immer das „-innen“. Ich finde, da wird zu viel Gewicht gesetzt auf Dinge, die nix bewirken, die oberflächlich sind. Ich würde den jüngeren Frauen raten, das ein bisschen beiseitezulassen und eher auf das Wesentliche zu schauen.

younited: Wo sehen Sie noch Probleme?

Erika Pluhar: Wir haben im Moment einen großen Kampf mit dem Rechtspopulismus, der nicht nur uns Frauen bedroht. Die Welle von rechts ist sehr mächtig. Nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa oder sogar weltweit. Die sammeln sich jetzt auch zusammen. Ich bin ja 1939 geboren, also noch im Dritten Reich. Gleich darauf ist der Krieg ausgebrochen. Als Kind hab ich in Döbling gewohnt, da hat es so ausgeschaut wie auf den Bildern aus der Ukraine. Alles völlig kaputt. Man weiß also, was passieren kann, wenn Rechte an die Macht kommen. Ich war auch immer ganz offen gegen den Jörg Haider. Ich hab sogar ein Jörg-Haider-Lied gehabt in meinem Programm.

younited: Haben Sie auch ein Herbert-Kickl-Lied?

Erika Pluhar: Nein, das ist beim Kickl auch sinnlos. Der Haider war zumindest noch eines Liedes wert. Bei mir herrscht zurzeit aber eine leise Hoffnung, dass zumindest die Kamala Harris etwas schaffen kann, weil die Frau wunderbar ist und von sehr guten Leuten unterstützt wird. Ich habe mich ja früher gewundert, wie man für Trump sein kann, aber der Hitler hat den Menschen auch zugesagt. Und das war vielleicht ein Znirchtl mit einem Bart, der gebrüllt hat. Und was hat er erreicht? Also da gibt es schon eine seltsame Faszination. In einem gewissen Prozentsatz der Menschheit schlummert wirklich das Faschistoide. Das tritt ja auch oft in einer Zweier-Beziehung zutage.

younited: Was sollen junge Frauen heute machen?

Erika Pluhar: Wie ich vorher schon gesagt habe: Sich nicht allzu sehr mit den Kleinigkeiten, mit den oberflächlichen Behandlungsweisen verzetteln, sondern wirklich kraftvoll Position beziehen. Und vor allem auch dann, wenn’s vielleicht gegen das eigene Wohlergehen ist. Wir wollen ja alle halbwegs gut leben, das ist ja auch verständlich, und so viel Geld haben, dass wir nicht darben. Aber wenn’s einem ohnehin ordentlich geht, darf man keine verlogenen Sachen tun und lügen. Der Viktor Frankl sagt, es gibt nur anständige und unanständige Menschen – und so plädiere ich für Anstand und für Mut und für Wahrhaftigkeit.

younited: Also authentisch sein, sich selbst treu bleiben.

Erika Pluhar: Genau. Ich bin auch ganz unglücklich, ich sag’s ganz offen, über die Influencerinnen. Das schadet dem Frauenbild, wenn das nur hübsche Frauen sind, die erklären, wie man die Wimpern macht, wie man die Haare macht, welche Schuhe man anzieht. Das ist ja genau wieder eine Rückführung in das dumme Frau-Sein. Ich finde ja den ganzen digitalen Irrsinn gefährlich. Wenn jetzt noch die KI dazukommt, dann sag ich immer, bitte lieber zuerst die natürliche Intelligenz mehr schulen, also Bildung.

younited: Wir reisen zurück zu der 20-jährigen Erika Pluhar. Was würden Sie ihr raten für ihr Leben?

Erika Pluhar: Dieser Erika von damals würde ich sagen: „Sei weniger belastet!“ Ich war wirklich sehr belastet als junge Frau. Mit 16 war ich schwer an Anorexie erkrankt. Ich war einer der ersten Fälle, glaub ich. Das war in der Nachkriegszeit, wo meine Eltern immer darauf geschaut haben, dass wir was zum Essen kriegen. Ich war kerngesund, und auf einmal isst die nix mehr. Aber ich war der klassische Fall von „verweigern, ein Frau zu werden“. Rundherum hab ich nur lauter Hausfrauen gesehen, die unglücklich waren. Dann die Doris Day mit dem Schürzerl und der schönen Frisur, im Kino waren auch nur lauter so Frauen. Ich war, glaub ich, wirklich ein klassischer Frauen-Verweigerungstyp und hab einfach aufgehört zu essen. Das war eine schreckliche Zeit. Ich hab gespürt, dass ich mich umbring. Was mich gerettet hat, war ein Sommerurlaub in Unterach am Attersee, einquartiert bei zwei unverheirateten Schwestern. Die waren selbstständig, haben keinen Mann gehabt, waren lustig, haben im Kirchenchor gesungen, die eine war auf der Alm, die andere hat gekocht. Die haben zu mir nie gesagt „iss doch“. Die eine hat mich auf die Alm mitgenommen und hat mir nur ihre Love-Storys erzählt. Dann hat sie mir immer Milch gegeben, wo ich dachte, das ist ja nur Milch. Das war ein schöner Sommer, in dem ich ein anderes Frauenbild kennengelernt habe. Danach ist es wieder bergauf gegangen.

younited: Seither nie wieder Probleme?

Erika Pluhar: Ich war immer schwermütig, muss ich sagen. Aber wofür ich plädiere, ist, dass man sich trotzdem freuen kann. Dass man Freude hat im Leben. Dafür hab ich immer gekämpft. Jetzt wo ich alt bin, kommt aber dieses ganze Paket Leben nochmal so über einen. Auch der Alltag wird mühsamer, aber trotzdem macht man weiter. So lange es geht.

Über Erika Pluhar

Erika Pluhar war von 1960 bis 1999 Ensemblemitglied am Burgtheater. Ihren Durchbruch als Filmdarstellerin feierte sie 1968 mit einer Hauptrolle im Fernseh-Zweiteiler „Bel Ami“. Sie war mit Udo Proksch und André Heller verheiratet. Nach dem Tod ihrer 37-jährigen Tochter Anna adoptierte sie deren Adoptivsohn Ignaz. Erika Pluhar lebt als Schriftstellerin und mit eigenen Liedern musizierend in Wien.

Interview: Marcus Eibensteiner, Judith Hintermeier