Prioritäten der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft
Vom 1. Juli bis 31. Dezember 2022 übernimmt Tschechien den turnusmäßigen Vorsitz im Rat der EU unter dem Motto „Europa als Aufgabe“. Nach Frankreich und vor Schweden wird Tschechien das von den drei Präsidentschaften gemeinsam vorbereitete 18-Monats-Programm weiterführen.
Mit 1. Juli 2022 übernahm Tschechien die halbjährlich rotierende EU-Ratspräsidentschaft von Frankreich. Prag hatte sich mit der vorangegangenen französischen und der nachfolgenden schwedischen EU-Ratspräsidentschaft auf ein sogenanntes 18-Monats-Programm geeinigt, welches jedoch aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine den neuen geopolitischen Realitäten angepasst werden musste. Die fünf miteinander verknüpften Prioritäten der kommenden EU-Ratspräsidentschaft reichen nun von Energiesicherheit und Verteidigung bis hin zu wirtschaftlicher und demokratischer Resilienz.
Energiesicherheit und Verteidigung
Neben der Sicherstellung eines angemessenen Krisenmanagements im Hinblick auf den anhaltenden Krieg in der Ukraine und seiner Folgen wird die tschechische EU-Ratspräsidentschaft einen wichtigen Fokus auf die europäische Energiesicherheit legen. In diesem Sinne soll die beschleunigte Umsetzung des REPowerEU-Programms, die Steigerung der Energieeffizienz sowie der Ausbau emissionsarmer und erneuerbarer Energiequellen vorangetrieben werden. Ferner möchte Tschechien an der Umsetzung der Regulierung der Gasreserven arbeiten und die freiwillige gemeinsame Beschaffung von Gas fördern. Gleichzeitig soll die Umsetzung eines angemessenen Instrumentenmixes die negativen sozioökonomischen Auswirkungen der hohen Energiepreise verringern.
Im Weiteren sollen unter dem tschechischen EU-Ratsvorsitz die europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsfähigkeiten verbessert, die Zusammenarbeit mit außereuropäischen Partner*innen im Rahmen der NATO intensiviert und die Umsetzung des „Strategischen Kompasses“ unterstützt werden. In diesem Zusammenhang möchte Tschechien an einer raschen Entwicklung der sogenannten „Hybrid Toolbox“ arbeiten, welche eine Reihe von freiwilligen Instrumenten zur Bekämpfung von Desinformation, ausländischer Einmischung und anderen Störungen im Cyberraum beinhalten soll.
Wirtschaftliche und demokratische Resilienz
Tschechien möchte die EU-Ratspräsidentschaft dazu nutzen, die Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken. Dabei steht die gezielte Unterstützung der Wettbewerbsfähigkeit bei strategischen Technologien ebenso im Vordergrund wie engere Handelsbeziehungen mit demokratischen Ländern. Auch soll die transatlantische Zusammenarbeit bei der Widerstandsfähigkeit der Lieferketten im Rahmen des EU-US-Handels- und Technologierates verstärkt werden. Im Einklang mit den Zielen des Data Acts und des Chips-Gesetzes gehört die Stärkung des Binnenmarktes zu den weiteren wirtschaftlichen Prioritäten Tschechiens, wobei insbesondere die Bedeutung der europäischen digitalen Identitäten und eines fairen Datenmarktes hervorgehoben wird.
Mit Blick auf die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der demokratischen Werte und der Rechtsstaatlichkeit in der EU will sich Tschechien auf die transparente Finanzierung der politischen Parteien, die Unabhängigkeit der Massenmedien und den offenen Dialog mit den Bürger*innen konzentrieren und sich dabei insbesondere auf die Konferenz zur Zukunft Europas beziehen. Ferner möchte sich der tschechische Vorsitz dafür einsetzen, dass die Grundrechte und -freiheiten im digitalen Umfeld geachtet werden. Vor allem sollen globale Standards forciert werden, die auf einem menschenzentrierten Ansatz aufbauen.
Starke wirtschaftsliberale Akzente und wenig Soziales
Den Umstand, dass sich Tschechien trotz der akuten Energie- und Klimakrise für die EU-Ratspräsidentschaft wenig bis keinerlei klima- und sozialpolitische Ziele gesetzt hat, gilt es aus Sicht der der Gewerkschaften sowie der AK zu kritisieren. Wie der wirtschaftsliberale Fokus, beispielsweise durch eine verstärkte Konzentration auf eine Intensivierung des globalen Handels, also einen Transport von Gütern quer über den Erdball, mit dem Erreichen strengerer Klimaziele vereinbar sein soll, bleibt die tschechische EU-Ratspräsidentschaft schuldig. Auch in punkto Sozialpolitik bleibt das Programm der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft höchst unambitioniert – es geht nicht über die im Arbeitsprogramm 2022 der EU-Kommission festgelegten Schwerpunkte hinaus und ist hier weit weniger ambitioniert als vorhergehende Ratspräsidentschaften mit eigener sozialpolitischer Agenda. Die aus Sicht der Gewerkschaften und der AK wichtigen Vorhaben zu Mindesteinkommen/Grundsicherung, Plattformarbeit sowie zu einer EU-Pflegestrategie werden im Programm der Ratspräsidentschaft nur am Rande erwähnt. Wie den soziökonomischen Folgen von Krieg, Klima- und Energiekrise Einhalt geboten und der soziale Zusammenhalt innerhalb der EU gestärkt werden könnte, spart das tschechische Programm leider weitestgehend aus.
Quellen:
AK EUROPA (Österreichische Bundesarbeitskammer Büro Brüssel), Konferenz zur Zukunft Europas, Rat der Europäischen Union, Tschechische Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union;