Neuer Kommissionsvorschlag gegen „SLAPP“-Klagen
Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Věra Jourová, präsentierte am 27. April 2022 einen Richtlinienvorschlag, um Journalist*innen und Verteidiger*innen von Menschenrechten vor missbräuchlichen Einschüchterungsklagen, den sogenannten „SLAPP“-Klagen, zu schützen.
„Der Gesetzesvorschlag war schon lange überfällig – dem ,mundtot machen‘ von Journalist*innen muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden!“, kommentierte SPÖ-EU-Abgeordnete Bettina Vollath den Vorschlag der Kommission. SLAPP steht für „Strategic Lawsuits against Public Participation” (strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung). Bei derartigen Klagen handelt es sich um missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen Journalist*innen und Rechtsverteidiger*innen, die durch langwierige, kostenintensive Gerichtsverfahren eingeschüchtert werden sollen. Davon betroffen war auch die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia, die sich mit Recherchen zu Korruption zwischen Regierung und Geschäftswelt viele Feinde gemachte hatte. Gegen sie wurden 46 zivil- und strafrechtliche Verleumdungsklagen von einer Reihe von Geschäftsleuten und Politiker*innen eingereicht, bevor sie 2017 durch eine ferngezündete Autobombe ermordet wurde. Das EU-Parlament hatte im Hinblick auf SLAPP-Klagen bereits im November 2021 mit überwältigender Mehrheit neue EU-Vorschriften gefordert.
Inhalt des Richtlinienvorschlags der Kommission
Die Kommission schlug im September 2021 erstmals eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Empfehlung zur Sicherheit von Journalist*innen vor. Der nun vorgelegte Richtlinienentwurf umfasst SLAPP-Klagen in Zivilsachen und konzentriert sich auf Fälle mit „grenzüberschreitender Auswirkung“. Im Kern soll die Richtlinie es Gerichten erleichtern, offenkundig missbräuchliche Klagen gegen Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen früh abzuweisen und das Gerichtsverfahren einzustellen, wenn ein Fall offenkundig unbegründet ist. Wenn eine Klage als missbräuchlich abgewiesen wird, sollen zukünftig Kläger*innen alle Verfahrenskosten einschließlich der Anwaltskosten des*der Beklagten übernehmen. Zusätzlich sollen Betroffene einer SLAPP-Klage das Recht auf volle Entschädigung für den erlittenen materiellen oder immateriellen Schaden erhalten. Um langfristig Kläger*innen von missbräuchlichen Gerichtsverfahren abzuhalten, sollen Gerichte auch abschreckende Sanktionen verhängen können. Dadurch sollen Unternehmen, Regierungsvertreter*innen und mächtige Einzelpersonen davon abgehalten werden, Kritiker*innen unbegründet vor Gericht zu bringen. Abschließend sollen mitgliedstaatliche Gerichte auch Urteile aus einem Drittland schneller ablehnen können, wenn dieses nach den Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaats offenkundig unbegründet oder missbräuchlich wäre.
Ergänzende Empfehlung an die Mitgliedstaaten
Ergänzend zur vorgeschlagenen Richtlinie wurden auch Empfehlungen an Mitgliedstaaten veröffentlicht. Laut diesen sollen Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die jeweiligen nationalen Vorschriften gegen Verleumdung keine ungerechtfertigten Auswirkungen auf das Recht auf freie Meinungsäußerung, eine offene, freie und pluralistische Medienlandschaft sowie die öffentliche Teilhabe haben. Für Angehörige der Rechtsberufe und potenzielle Opfer von SLAPP-Klagen soll es Schulungen geben, um ihr Wissen und ihre Fähigkeiten im wirksamen Umgang mit diesen Gerichtsverfahren verbessern zu können. Neben Sensibilisierungs- und Informationskampagnen sollen Betroffene auch unabhängige Unterstützung, unter anderem von Anwaltskanzleien, die sie kostenfrei verteidigen, erhalten.
Reaktionen
Die Koalition gegen SLAPP-Klagen (CASE), die im Vorfeld eine Muster-Richtlinie vorgelegt hatte, begrüßt den Gesetzesvorschlag als wichtigen ersten Schritt gegen Einschüchterungsklagen. Das Umweltinstitut München kritisiert hingegen, dass die EU-Richtlinie nur auf grenzüberschreitende SLAPP-Fälle anwendbar sein soll, der Großteil der Fälle passiere jedoch innerhalb von Mitgliedstaaten. Außerdem würde die EU-Richtlinie nur in zivilrechtlichen Verfahren greifen und somit etwa nicht im aktuellen Falle einer strafrechtlichen Klage gegen einen Mitarbeiter des Münchner Umweltinstituts. Laut Věra Jourová, Kommissarin für Werte und Transparenz, haben drei Staaten – Irland, Malta und Litauen – bereits damit begonnen, die Einführung nationaler Rechtsvorschriften zu SLAPPs zu prüfen. Der Richtlinienvorschlag muss nun vom Europäischen Parlament und Rat verhandelt werden. Dem Vorschlag der Kommission müssten etwa auch Polen, Ungarn und Rumänien zustimmen, die in den letzten Jahren bezüglich ihrer Medienfreiheit und Gewaltenteilung vermehrt unter Kritik standen.
Weiterführende Informationen:
Coalition against SLAPPs in Europe (CASE): The Need for An EU Anti-SLAPP Directive (Nur Englisch)
Europäische Kommission: Vorschlag für eine Richtlinie zu strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPP)
Europäisches Parlament: MEPs want protection for media, NGOs and civil society from abusive lawsuits
Europäisches Parlament: Studie. „Nutzung von SLAPP-Klagen zur Einschüchterung von Journalisten, nichtstaatlichen Organisationen und der Zivilgesellschaft“
Quellen:
AK EUROPA (Österreichische Bundesarbeitskammer Büro Brüssel), ARTICLE 19, Coalition against SLAPPs in Europe (CASE), derstandard.de, Europäische Kommission, Europäisches Parlament, SPÖ-Delegation im Europäischen Parlament, sueddeutsche.de, Umweltinstitut München e.V.;