Infomailing vom 11.05.2022
Plenartagung des Europäischen Parlaments – Wie wurde abgestimmt?
Die aktuelle Plenarsitzung des Europäischen Parlaments hat von 2. bis 5. Mai 2022 stattgefunden. Welche Themen dabei auf der Tagesordnung standen, ist hier nachzulesen.
Die namentlichen Abstimmungen behandelten die folgenden Themen:
- Kreislaufwirtschaft: Weniger schädliche Chemikalien im Abfall
- Neue Regeln für die Europawahl: EU-weiter Wahlkreis gefordert
- Schutz des Binnenmarktes vor ausländischen Subventionen
- Stärkung des Mandats von Europol
- Besserer Schutz der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen
Kreislaufwirtschaft: Weniger schädliche Chemikalien im Abfall
Das Parlament nahm seine Verhandlungsposition für neue Regeln für persistente organische Schadstoffe (POPs) und den Umgang mit Abfällen, die diese enthalten, an. Um eine giftfreie Umwelt und eine echte Kreislaufwirtschaft zu schaffen, fordern die Abgeordneten strengere Grenzwerte für solche Schadstoffe in Abfällen. Materialien, die einen zu hohen POP-Gehalt aufweisen, müssen zerstört oder verbrannt werden und dürfen nicht recycelt werden. Darüber hinaus sollen neue Chemikalien in die Liste der POPs aufgenommen werden, z.B. Perfluorhexansulfonsäure (PFHxS).
Neue Regeln für die Europawahl: EU-weiter Wahlkreis gefordert
Das Parlament hat die Reform des EU-Wahlaktes eingeleitet. Die Abgeordneten schlagen ein Zweistimmensystem für die Europawahl vor: Eine Stimme für die Wahl der Abgeordneten in den Wahlkreisen der Mitgliedstaaten und eine weitere für einen EU-weiten Wahlkreis, in dem 28 zusätzliche Sitze vergeben werden. Diese 28 zusätzlichen Abgeordneten sollen mithilfe EU-weiter, geografisch ausgewogener Listen gewählt werden. Um gegen die Unterrepräsentation von Frauen vorzugehen, sollen die Listen außerdem nach dem Reißverschlusssystem erstellt (d.h. abwechselnd weibliche und männliche Kandidat*innen) bzw. Frauenquoten eingeführt werden. Der 9. Mai soll künftig als EU-weiter Wahltag fungieren, die Briefwahl soll in allen Mitgliedstaaten möglich sein, es soll eine gemeinsame Sperrklausel geben und das passive Wahlrecht soll EU-weit ab 18 Jahren gelten. Darüber hinaus sprachen sich die Abgeordneten dafür aus, den*die Kommissionspräsident*in auch in Zukunft nach dem Spitzenkandidat*innensystem über EU-weite Listen wählen zu lassen.
Schutz des Binnenmarktes vor ausländischen Subventionen
Das Parlament hat seine Verhandlungsposition zu Rechtsvorschriften festgelegt, die marktverzerrende drittstaatliche Subventionen für in der EU tätige Unternehmen verhindern sollen. Während die EU-Staaten sich an die Regeln für staatliche Beihilfen halten müssen, gab es bisher keine vergleichbare Regelung für die von Nicht-EU-Ländern gewährten Hilfen für Unternehmen. Vor diesem Hintergrund verlangen die Abgeordneten, dass die Kommission künftig in die Lage versetzt werden soll, die Auswirkungen solcher unfairen Hilfen zu untersuchen und abzumildern. Dazu gehören etwa ausländische Kapitalzuflüsse, Darlehen, steuerlichen Anreize, Steuerbefreiungen und der Erlass von Schulden.
Stärkung des Mandats von Europol
Die Abgeordneten billigten die Stärkung des Mandats von Europol, dem Europäischen Polizeiamt. Die neuen Regeln sollen es Europol u.a. ermöglichen, Forschungsprojekte durchzuführen und – in Fällen von terroristischem oder kinderpornographischem Material – Daten von privaten Firmen zu erhalten. Die Behörde soll künftig eine*n Grundrechtsbeauftragte*n haben. Darüber hinaus wird der*die Europäische Datenschutzbeauftragte die Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch Europol überwachen.
Besserer Schutz der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen
Das Parlament forderte sowohl die Kommission als auch den Rat der EU dazu auf, sich stärker dafür einzusetzen, dass Polen und Ungarn die gemeinsamen Werte der EU und die Rechtsstaatlichkeit nicht weiterhin mit Füßen treten. Gegen beide Länder läuft ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags zum Schutz der Grundwerte der EU. Trotz der sich verschlechternden Lage hätten es die Mitgliedstaaten bis dato nicht zustande gebracht festzulegen, ob eine „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ gemeinsamer Werte in Ungarn und Polen bestehe. Darüber hinaus forderten die Abgeordneten die Kommission dazu auf, den EU-Rechtsstaatsmechanismus, der im April gegenüber Ungarn ausgelöst wurde, auch für Polen zu starten.
Weitere Höhepunkte
Die Plenarversammlung der Konferenz über die Zukunft Europas hat am 30. April 2022 ihre insgesamt 49 Vorschläge für die künftige Entwicklung der EU angenommen. Die Abgeordneten unterstützten die ehrgeizigen, von den EU-Bürger*innen getragenen Vorschläge, die EU tiefgreifend zu reformieren. Sie stellten fest, dass einige dieser Vorschläge Vertragsänderungen erfordern und sprachen sich dafür aus, einen Konvent zur Änderung der Verträge einzuberufen. Es brauche künftig mehr Integration in Bereichen wie Energie, Verteidigung, EU-Institutionen, inklusives und widerstandsfähiges Wachstum. Eine vertiefte politische Integration und echte Demokratie könnten nur durch ein Initiativrecht für das Parlament und die Abschaffung des Grundsatzes der Einstimmigkeit im Rat erreicht werden. Die große Mehrheit der Abgeordneten betonte, dass die Erwartungen, Prioritäten und Sorgen der Bürger*innen bei dieser einzigartigen Gelegenheit, die partizipative Demokratie zu leben, laut und deutlich gehört wurden und dass das Ergebnis respektiert werden müsse. Für mehr Information.
© ÖGfE
Die nächste Plenarsitzung findet von 6. bis 9. Juni 2022 statt.
Quellen:
Europäisches Parlament, Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE);
68. Tagung des EGÖD-Exekutivausschusses
Am 4. und 5. Mai kamen die führenden europäischen Gewerkschafter*innen des öffentlichen Dienstes zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie zu einer physischen Sitzung zusammen und behandelten eine sehr umfangreiche Tagesordnung. Auch Thomas Kattnig, EGÖD-Vizepräsident und Mitglied des Bundespräsidiums der younion _ Die Daseinsgewerkschaft, nahm an der Sitzung teil. Der EGÖD-Exekutivausschuss startete u.a. dringende Diskussionen über die Entwicklungen in Belarus und der Ukraine.
„Die Corona-bedingte zweijährige Pause der Präsenz-Sitzungen hat nun ihr Ende gefunden, und es war wichtig, all die europäischen Gewerkschaftskolleg*innen wiederzusehen und einen Austausch von Angesicht zu Angesicht führen zu können“, resümierte Kattnig. „Vor uns liegen große Herausforderungen, – Klimakrise, Energiewende und steigende Preise, Digitalisierung, faire Arbeitsbedingungen u.v.m. – die wir nur gemeinsam als solidarische und starke Gewerkschaftsbewegung in Angriff nehmen können. Denn es sind der permanente Austausch, die Mitbestimmung auf allen Ebenen und die Einbindung der Mitglieder, die eine erfolgreiche europäische Gewerkschaftsbewegung ausmachen“, so Kattnig weiter.
Belarus
Der Ausschuss brachte seine Solidarität mit den führenden Vertreter*innen des unabhängigen belarussischen Gewerkschaftsbundes BKDP zum Ausdruck, von denen viele am 19. April verhaftet wurden und einige noch immer im Gefängnis sitzen. Die Gelegenheit wurde auch genutzt, um eine Mitgliedsorganisation des BKDP – die Gewerkschaft für medizinisches Personal SPB – als neues Mitglied zu begrüßen.
Ukraine
Valery Matov, der Vorsitzende der Atomarbeiter*innengewerkschaft und Mitglied des EGÖD-Exekutivausschusses für die Ukraine, schaltete sich über eine Videoverbindung zur Sitzung. Er zeichnete ein düsteres Bild von dem, womit die Beschäftigten in der Ukraine konfrontiert sind: zerstörte Arbeitsplätze, systematische Angriffe auf Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen, Aggression und Kriegsverbrechen durch die russische Armee, und damit verbunden massive soziale und wirtschaftliche Kosten. Valery dankte seinen Gewerkschaftskolleg*innen im Exekutivausschuss und vielen, die nicht anwesend waren, für ihre Solidarität. Der Ausschuss diskutierte über die Werte der Gewerkschaftsbewegung, den Widerstand in Kriegszeiten und unter autoritären Regimen und darüber, was von den gewählten EGÖD-Vertreter*innen erwartet wird. Anschließend wurde die schwierige Entscheidung getroffen, die russischen Mitgliedsorganisationen des EGÖD zu suspendieren. Es wird wichtig sein, eine gemeinsame Vision zu entwickeln, wie Europa wieder Frieden und Sicherheit erreichen kann und wie wir uns nach dem Krieg für Demokratie und sozialen Fortschritt einsetzen.
„Als demokratische und freie Gewerkschaftsbewegung stellen wir uns ganz entschieden und vehement gegen Krieg, Demokratiefeindlichkeit und jegliche Form von Gewalt. Und so erwarten wir auch, dass unsere Vertreter*innen und Mitgliedsorganisationen sich zu unseren gewerkschaftlichen Werten bekennen und den Krieg verurteilen. Daher ist die Entscheidung, die der Exekutivausschuss getroffen hat, eine wichtige und richtige. Die Welt braucht keine Konflikte, sondern Investitionen in Menschen und Arbeitsplätze, Frieden und Stabilität“, betonte EGÖD-Vizepräsident Thomas Kattnig.
Begrüßung neuer Mitgliedsorganisationen
Neben der belarussischen SPB wurden mehrere neue Mitglieder begrüßt: die finnische Gewerkschaft für Feuerwehrleute und Rettungskräfte SPAL, CFDT Finance (Zoll, Steuern, Ministerien) aus Frankreich, die Sozialpflegegewerkschaft STSSSS aus Portugal und die Stromversorgungsgewerkschaft aus Serbien.
EGÖD-Kongress 2024
Der Termin für den nächsten EGÖD-Kongress wurde bekannt gegeben: 17. bis 20. Juni 2024 in Bukarest, Rumänien. Im November werden die Ausschüsse zur Vorbereitung des Kongresses eingerichtet. Der Satzungsausschuss wird sich mit Fragen wie der Aussetzung der Mitgliedschaft befassen, während der Entschließungsausschuss sich mit den wichtigsten Themen des Verbandes befassen wird, wie z.B. der Organisation, der Personalbeschaffung und dem sozialen Dialog. In der Zwischenzeit hat der Exekutivausschuss das Arbeitsprogramm für den Zeitraum bis zum Kongress und die Mitgliedsbeiträge für 2023 und 2024 angenommen.
Solidarität
Der Exekutivausschuss brachte seine Unterstützung für den Streik der finnischen Kommunalbeschäftigten zum Ausdruck. Rund 80.000 Beschäftigte in 10 Städten haben gestreikt, um gegenüber den Arbeitgebern die Notwendigkeit höherer Löhne und besserer Arbeitsbedingungen hervorzuheben. Es ist ein Kampf, den viele Gewerkschaften führen, da es für die Beschäftigten in ganz Europa aufgrund der steigenden Inflation und der höheren Kosten für Lebensmittel und Energie immer schwieriger wird, über die Runden zu kommen. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes haben eine Lohnerhöhung verdient. Der Exekutivausschuss hat auch zwei Arbeitnehmer*innengruppen, die der EGÖD vertritt und die eine Schlüsselrolle in unserer Gesellschaft spielen, seine Unterstützung zugesagt: Feuerwehrleute und Hebammen/Geburtshelfern, denn der 4. Mai ist der Internationale Tag der Feuerwehrleute und der 5. Mai der Internationale Tag der Hebammen/Geburtshelfern.
Europäischer Aktionstag am 23. Juni
Die Vereinten Nationen haben den 23. Juni zum Tag des öffentlichen Dienstes erklärt, um den Beitrag der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes für unsere Gemeinschaften zu würdigen. Er ist für den EGÖD auch ein Aktionstag gegen Sparmaßnahmen, Privatisierung, die Kommerzialisierung der Pflege und der öffentlichen Dienste. Es ist ein Aktionstag für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal und Ressourcen, um die Qualität der Dienstleistungen zu gewährleisten, die die Menschen brauchen und verdienen. „Die öffentlichen Dienste und ihre Beschäftigten sind das Rückgrat unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und damit unerlässlich für das Funktionieren unserer Städte und Gemeinden. Wir müssen für qualitativ hochwertige öffentliche Dienste, aber auch für die Ausbildung in den zukunftsträchtigen Berufen sorgen. Als EGÖD setzen wir uns auch weiterhin vehement gegen die Privatisierung und Kommerzialisierung öffentlicher Dienste sowie gegen jegliche Sparpolitik in diesen Bereichen ein. Unser langjähriger Leitspruch ‚Menschen vor Profit’ trifft den Nagel nach wie vor auf den Kopf“, so Kattnig.
Der EGÖD fordert alle Gewerkschaften auf, sich daran zu beteiligen. Gemeinsam mit den belgischen Gewerkschaften und der niederländischen FNV wird der EGÖD Aktionen in Brüssel organisieren. Der Verband freut sich auf einen erfolgreichen Tag, an dem wir Arbeitgebern, Regierungen und anderen unser gemeinsames Ziel vor Augen führen können, Veränderungen herbeizuführen und eine andere Welt zu schaffen – eine bessere Welt.
Quellen:
Europäischer Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD);
Konferenz über die Zukunft Europas fordert sozialen Fortschritt
Die Schlussfolgerungen der Konferenz über die Zukunft Europas wurden vergangenen Montag (9. Mai) den Präsident*innen der EU-Institutionen übergeben.
Das Europäische Parlament, die Kommission und der Rat müssen dafür sorgen, dass diese Schlussfolgerungen respektiert und umgesetzt werden. Das bedeutet Änderungen in der Politik, in den Arbeitsprogrammen, im Haushalt und in den Gesetzesinitiativen, aber auch Änderungen in den Verträgen. Die EU-Verträge sollten sicherstellen, dass der Mensch immer vor dem Profit steht, so die Empfehlung der Konferenz über die Zukunft Europas.
Zu den von den Bürger*innen vorgeschlagenen Vertragsänderungen gehört – dank der Mobilisierung der Gewerkschaften – ein Protokoll über den sozialen Fortschritt, das garantiert, dass im Konfliktfall die sozialen Rechte Vorrang vor den wirtschaftlichen Freiheiten haben. In den Schlussfolgerungen wird auch die Abschaffung des Vetorechts der Mitgliedstaaten durch Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit gefordert.
Das Protokoll über den sozialen Fortschritt ist notwendig, um sicherzustellen, dass sich die berüchtigten Fälle Laval und Viking nicht wiederholen, die dem Sozialdumping in ganz Europa Tür und Tor geöffnet haben, und um einen Rückschritt bei und eine Umgehung der sozialen Rechte zu verhindern.
Darüber hinaus muss, wie von den Bürger*innen gefordert, eine starke soziale Dimension in die institutionelle und wirtschaftliche Steuerung der EU eingeführt werden, um eine Rückkehr zur verheerenden Sparpolitik zu vermeiden, insbesondere durch die vollständige Umsetzung der Grundsätze der Europäischen Säule sozialer Rechte.
Die Konferenz hat auch zu anderen transformativen sozialen Verpflichtungen aufgerufen, wie z.B.:
- nachhaltiges Wachstum, Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und menschlicher Fortschritt im Rahmen eines erneuerten Sozialvertrags
- vollständige Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte, einschließlich gerechterer Löhne und Arbeitsbedingungen, stärkerer Tarifverhandlungen, sicherer Beschäftigung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie
- Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU, um sicherzustellen, dass „soziale Gerechtigkeit und sozialer Fortschritt Hand in Hand mit wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit gehen“
- „Gewährleistung eines gerechten Übergangs auf der Grundlage des sozialen Dialogs und hochwertiger Arbeitsplätze“, damit der Übergang zu einer grünen und digitalen Wirtschaft für die Arbeitnehmer*innen fair verläuft
Die Schlussfolgerungen sind das Ergebnis eines einjährigen Prozesses der Bürger*innenbeteiligung, einschließlich einer digitalen Ideenplattform, bei der die Vorschläge des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) in allen Politikbereichen zu den beliebtesten gehörten:
Die Präsident*innen aller drei EU-Institutionen haben eine Erklärung unterzeichnet, in der sie versprechen, „den Empfehlungen der Konferenz nachzukommen“.
EGB-Generalsekretär Luca Visentini äußerte sich wie folgt:
„Die Bürger*innen haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie ein sozialeres Europa wollen, das die Menschen vor den Profit stellt.
Während sich die EU während der COVID-Krise in eine sozialere Richtung bewegt hat, sind nun weitere entschlossene Maßnahmen erforderlich.
Dazu gehören ein erneuerter Sozialvertrag, die vollständige Umsetzung der sozialen Säule, eine Überarbeitung der Regeln für die wirtschaftspolitische Steuerung und ein Protokoll über den sozialen Fortschritt in den Verträgen, um zu gewährleisten, dass die sozialen Rechte nicht durch wirtschaftliche Freiheiten außer Kraft gesetzt werden.
Die Konferenz über die Zukunft Europas hat sich ausdrücklich für Vertragsänderungen und ehrgeizige sozialpolitische Maßnahmen ausgesprochen, und wir erwarten von den Staats- und Regierungschefs der EU, dass sie ihr Versprechen einlösen, die Schlussfolgerungen der Konferenz einzuhalten.
Dies ist eine Gelegenheit, den arbeitenden Menschen zu zeigen, dass die Europäische Union auf ihre Interessen hört und in ihrem Sinne arbeitet. Andernfalls würde dies den Rechtspopulist*innen, die Europa schwächen wollen, in die Hände spielen.“
Quellen:
Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB);
Arbeitsmarktmonitor 2021
Der Arbeitsmarktmonitor 2021 zeigt, dass einige Länder sehr gut durch die Krise gekommen sind, andere hingegen weniger resilient wirken. Österreich verliert in einigen Bereichen den Anschluss an die Spitzengruppe, liegt aber überwiegend besser als der EU-Durchschnitt. Lediglich bei den Ausgrenzungsrisiken am Arbeitsmarkt liegt Österreich hinter anderen EU-Ländern zurück.
Der Arbeitsmarktmonitor wurde 2010 von der AK Wien, dem Europäischen Gewerkschaftsinstitut und dem Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) entwickelt. Bezugnehmend auf die aktuellsten verfügbaren Eurostat-Daten aus dem Jahr 2020 versucht der Arbeitsmarktmonitor 2021, die Entwicklung der Arbeitsmärkte des 1. Pandemiejahrs in Europa auf Basis von 58 Indikatoren abzubilden und die Ergebnisse entlang folgender Dimensionen vergleichbar zu machen: allgemeine Leistungskraft des Arbeitsmarktes, Erwerbsteilnahme unterschiedlicher Personengruppen, Ausgrenzungsrisiken auf dem Arbeitsmarkt, Verteilung der Erwerbseinkommen und Umverteilung durch den Sozialstaat. Dadurch ergeben sich anschauliche Einblicke in die unterschiedlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die EU-Staaten.
Allgemeine Leistungskraft des Arbeitsmarktes
Die „Allgemeine Leistungskraft“ verweist auf den Arbeitsmarkt im Kontext der gesamtwirtschaftlichen Lage eines Landes anhand des Zusammenspiels von Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum und Produktivität. Auf Grundlage der Daten aus dem Jahr 2020 schneidet Irland in diesem Bereich am besten ab, Griechenland hingegen am schlechtesten. Österreich liegt im oberen Mittelfeld, wobei es vor allem beim hohen Teilzeitanteil Aufholbedarf gibt. Insbesondere Frauen arbeiten Teilzeit: Der geschlechtsspezifische Unterschied der Beschäftigungsquote in Vollzeitäquivalenten ist in Österreich mit 18,8 Prozentpunkten der vierthöchste in der EU (Italien: 22,5 Prozentpunkte, Finnland: 5,1 Prozentpunkte).
Erwerbsteilnahme
Die „Erwerbsteilnahme“ misst das Ausmaß der Arbeitsmarktintegration unterschiedlicher Personengruppen (z.B. junge und ältere Menschen, Frauen und Männer). Dänemark gelingt die Erwerbsintegration verschiedenster Personengruppen am besten. Das größte Aufholpotenzial hingegen hat Griechenland, gefolgt von Italien. Österreich erreicht bei der Erwerbsteilnahme eine Position im Spitzenfeld, wohingegen der Abstand zu den Ländern im nachfolgenden oberen Mittelfeld relativ klein ist. Zu den österreichischen Stärken gehören sowohl der niedrige Anteil unfreiwillig befristeter Beschäftigung (Österreich: 0,6 %, EU-27: 6,8 %) als auch die vergleichsweise hohen Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik gemessen am BIP (0,5 % des BIP bzw. 0,1 % je Prozentpunkt an Arbeitslosigkeit). Schwach schneidet Österreich jedoch bei der Beschäftigungsquote von Frauen im Vergleich zu Männern im erwerbstätigen Alter ab (Österreich: 8,2 Prozentpunkte, Litauen: 1,2 Prozentpunkte, Italien: 18,2 Prozentpunkte).
Ausgrenzungsrisiken am Arbeitsmarkt
Dieser Bereich soll die Fähigkeit eines Landes abbilden, einen umfassenden Zugang zum und Verbleib am Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Eine wichtige Rolle spielen hier der Bildungsstand und die zur Verfügung stehende Kinderbetreuungsinfrastruktur. Deutlich vor Dänemark und Finnland gelingt es Schweden am besten, die Ausgrenzungsrisiken am Arbeitsmarkt gering zu halten. Österreich findet sich bei den Ausgrenzungsrisiken nur im unteren Mittelfeld wieder, Schlusslicht ist Rumänien. Besonders schlecht schneidet Österreich beim Anteil der Beschäftigten ab, die aufgrund von Betreuungspflichten nur in Teilzeit arbeiten. Dieser ist mit 9,0 % (gesamt, Frauen 18,5 %) mehr als doppelt so hoch wie im EU-27-Schnitt (gesamt 3,8 %, Frauen 7,6 %). Es handelt sich somit um den zweithöchsten Wert unter den betrachteten EU-Ländern. Im Schlussfeld liegt Österreich auch bei der Kinderbetreuungsquote: Lediglich 21,1 % der Kinder unter drei Jahren besuchen eine formale Kinderbetreuungseinrichtung (EU-27: 32,3 %).
Verteilung der Erwerbseinkommen
In Punkto Höhe und Verteilung der Erwerbseinkommen liegt Belgien an erster Stelle, Bulgarien hingegen an letzter. Österreich erreicht eine Position im oberen Mittelfeld und punktet vor allem mit hohen Einkommen. Bei der kaufkraftbereinigten Bruttoentlohnung und den Arbeitnehmer*innenentgelten liegt Österreich im Spitzenfeld. Negativ sticht hingegen der Gender Pay Gap von 19,9 % hervor – der dritthöchste der EU.
Umverteilung durch den Sozialstaat
Dieser Bereich misst einerseits den Wirkungsgrad staatlicher Eingriffe und andererseits die Ausgaben der öffentlichen Hand für Sozialschutzleistungen und Bildung. Dänemark schneidet im Hinblick auf die soziale Absicherung und das Transferniveau am besten ab, Rumänien findet sich am unteren Rand und Österreich im EU-Spitzenfeld wieder. Zu den Stärken Österreichs gehören die überdurchschnittlich hohen Sozialschutzleistungen in Prozent des BIP sowie der Umstand, dass die gewährten Sozialleistungen die Armutsgefährdungsquote reduzieren. Ferner liegt die Armutsgefährdungsquote nach Sozialleistungen mit 13,9 % unter dem EU-Durchschnitt von 17,1 %. Schwach schneidet Österreich hingegen bei den Bildungsausgaben in Prozent des BIP ab, diese liegen im EU-Vergleich im unteren Mittelfeld (Österreich: 4,8 %, EU-27: 4,7 %).
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Arbeitsmarktmonitor 2020 – zehn Jahre fundierte Analyse
AK EUROPA: Arbeitsmarktmonitor 2019 vorgestellt
AK EUROPA: Benchmarking Working Europe 2021 – Ungleichheit in Europa
AK EUROPA: Benchmarking Working Europe 2019
Quellen:
AK EUROPA (Österreichische Bundesarbeitskammer Büro Brüssel), AK Wien, Arbeit & Wirtschaft Blog;