Infomailing vom 05.10.2022
Schwerpunkte der EP-Plenartagung vom 3. – 6. Oktober 2022
Im Rahmen der von 3. – 6. Oktober 2022 stattfindenden Plenartagung des Europäischen Parlaments stehen u. a. folgende Themen auf der Tagesordnung:
Eskalation des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine
Die Einberufung russischer Reservisten, Scheinreferenden in besetzten Teilen der Ukraine und Putins nukleare Drohungen werden am Mittwoch zur Debatte stehen.
Energie: Preisobergrenzen und Maßnahmen zur Verbrauchsminderung
Das Parlament will eine Entschließung annehmen, in der die Vorschläge der Europäischen Kommission zum Schutz der Verbraucher*innen und Unternehmen vor steigenden Energiekosten bewertet werden.
Endgültige Abstimmung über einheitliches Ladekabel
Das Parlament will die neuen Regeln zur Einführung einer einheitlichen Ladelösung für Mobiltelefone, Tablets und andere tragbare elektronische Geräte in der EU verabschieden.
Mahsa Amini: Debatte über Proteste für Frauenrechte im Iran
Am Dienstagnachmittag diskutieren die Abgeordneten und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell über die landesweiten Proteste gegen das islamische Regime.
Gesundheitsunion: Besser reagieren auf Notlagen im Gesundheitsbereich
Abstimmung über Regeln zur Stärkung der EU-Kapazitäten zur Prävention und Kontrolle übertragbarer Krankheiten und zur Bewältigung grenzüberschreitender Gesundheitsbedrohungen.
Rechtsstaatlichkeit: Parlament berät über Aussetzung von EU-Mitteln für Ungarn
Debatte am Dienstag über den Vorschlag der Kommission, EU-Mittel für Ungarn einzufrieren, um den EU-Haushalt vor dem Hintergrund der Sorgen über Ungarns Rechtsstaatlichkeit zu schützen.
Debatte über den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Schengen-Raum
Die Abgeordneten werden erwartungsgemäß fordern, dass das Reisen ohne Reisepass innerhalb der EU schnellstmöglich auf Bulgarien und Rumänien ausgeweitet wird.
Abstimmung über Rückbau der Corona-Hilfsmaßnahmen für den Luftfahrtsektor
Das Parlament wird über eine weitere Aktualisierung der Regeln für die Nutzung von Flughafen-Slots und über die Beibehaltung einiger Ausnahmen aus der Corona-Zeit entscheiden.
Weitere Themen:
- Fortgesetzte Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan, Fragestunde mit dem EU-Außenbeauftragten, Dienstag
- Zusätzliche Hilfen zur Bewältigung der Folgen des militärischen Angriffs durch die Russische Föderation FAST – CARE (Flexible Assistance for Territories – Flexible Unterstützung für Gebiete)
- Lage ausgegrenzter Roma-Gemeinschaften, die in Siedlungen in der EU leben – Anfragen zur mündlichen Beantwortung, Debatte Dienstag
- Wichtigste Ziele für die Tagung der COP19 des CITES (Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten frei lebender Tiere und Pflanzen) in Panama – Anfrage zur mündlichen Beantwortung, Debatte und Abstimmung Donnerstag
- Ernährungssicherheit und Mangel sowie erhöhte Preise für Düngemittel als Folge des Kriegs in der Ukraine – Erklärungen der Kommission, Donnerstag
- Humanitäre Lage nach den verheerenden Überschwemmungen in Pakistan und Klimakrise – Erklärungen des Rates und der Kommission
- Ergebnis der Überprüfung des 15-Punkte-Aktionsplans für Handel und nachhaltige Entwicklung durch die Kommission – Anfrage zur mündlichen Beantwortung, Debatte Mittwoch, Abstimmung Donnerstag
- Gegen die anti-europäische und anti-ukrainische Propaganda von Putins europäischen Kumpanen – Debatte zu einem aktuellen Thema, Mittwoch
- Institutioneller Rassismus in der EU und die Verletzung der Grundrechte der EU-Bürger*innen – Erklärungen der Kommission, Debatte Mittwoch
Für mehr Information.
Live-Stream zur Sitzung.
Quellen:
Europäische Parlament;
Energie: EWSA warnt vor Schaffung neuer Abhängigkeiten
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bezieht in einer auf der September-Plenartagung verabschiedeten Stellungnahme eindeutig Stellung zum Thema Energie: Der Vorschlag der Kommission ist ein Schritt in die richtige Richtung, um die Energieunabhängigkeit der EU von Russland zu gewährleisten, doch dürfen diese Sofortmaßnahmen keine neuen Abhängigkeiten schaffen und die Bemühungen um eine möglichst baldige Klimaneutralität nicht beeinträchtigen.
Der EWSA unterstützt den REPowerEU-Plan der Europäischen Kommission, der die EU von russischen Gas- und Öllieferungen unabhängig machen soll, weist aber darauf hin, dass viele der Probleme, die derzeit dringend angegangen werden, hätten vermieden oder zumindest begrenzt werden können, wenn die Abhängigkeit von Energieimporten schon vor Jahren verringert und der Energiemarkt vervollständigt worden wäre, wie es der EWSA seit Jahren fordert.
Ein Stresstest für die europäische Demokratie und die europäischen Werte
In der auf der September-Plenartagung verabschiedeten Stellungnahme, die von Stefan Back, Thomas Kattnig und Lutz Ribbe verfasst wurde, lässt der Ausschuss keinen Zweifel daran, dass die kombinierten wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der derzeitigen Krise das demokratische System der EU unter Druck setzen, wenn keine angemessenen Lösungen gefunden werden. Es müssen sofortige Maßnahmen ergriffen werden, um die Versorgungssicherheit zu „möglichst erschwinglichen“ Kosten sowohl für die von der aktuellen Preiskrise betroffenen Verbraucher*innen als auch für die Industrie zu gewährleisten, damit es nicht zu sozialen Unruhen kommt.
Die europäische Gesellschaft ist derzeit über Gebühr von den dramatischen Preissteigerungen betroffen. Nach Ansicht des EWSA haben sich die meisten Politiker*innen und große Teile unserer Gesellschaft von der billigen Versorgung mit fossilen Brennstoffen blenden lassen und es versäumt, eine vorsorgende Politik zu betreiben, und die derzeitige Situation ist die Folge dieser Nachlässigkeit.
Der Ausschuss bedauert, dass es erst des Krieges in der Ukraine und der daraus resultierenden Verzerrungen bei der russischen Energielieferung bedurfte, um die Aufmerksamkeit auf dieses grundlegende Problem der Energiesicherheit zu lenken und die im REPowerEU-Plan vorgeschlagenen Maßnahmen zur Gewährleistung der Unabhängigkeit von russischen Energieimporten auszulösen.
In diesem Zusammenhang erinnert der EWSA an die Aussagen in der EU-Energiesicherheitsstrategie von 2014 und der Strategie für die Energieunion von 2015 (TEN/570 – Rahmenstrategie Energieunion), wonach die EU nach wie vor anfällig für externe Energieschocks ist, und fordert die politischen Entscheidungsträger auf nationaler und EU-Ebene auf, den Bürger*innen zu verdeutlichen, welche Möglichkeiten bestehen, um unsere Abhängigkeit von bestimmten Brennstoffen, Energielieferanten und -wegen zu verringern.
Der Weg in die Zukunft: Steigerung der Energieeffizienz und des Anteils der erneuerbaren Energien am Energiemix
Der REPowerEU-Plan der Europäischen Kommission ist ein Schritt in die richtige Richtung, um die EU von russischen Gas- und Öllieferungen unabhängig zu machen.
Sein Ansatz basiert auf der Unterscheidung zwischen kurz- und mittelfristigen Maßnahmen und auf vier Hauptpfeilern: Energieeinsparung, Diversifizierung der Gasimporte, Ersatz fossiler Brennstoffe durch den Ausbau erneuerbarer Energien und Finanzierungslösungen.
Der EWSA warnt jedoch, dass diese Sofortmaßnahmen nicht zu neuen Abhängigkeiten führen dürfen und die Bemühungen um eine möglichst baldige Klimaneutralität nicht beeinträchtigen dürfen. Die Kommission sollte eine geopolitische Energieimportstrategie entwickeln, die auch dringende Energie- und Klimafragen berücksichtigt, bevor sie Partnerschaften mit undemokratischen oder politisch instabilen Ländern eingeht.
Der Ausschuss unterstreicht, dass die Dringlichkeit der Versorgungslage Flexibilität bei der vorübergehenden Nutzung fossiler und emissionsarmer Brennstoffe erfordert.
Der EWSA unterstützt insbesondere:
- den Vorschlag, das Energieeffizienzziel von 9 %, wie im „Fit-for 55“-Paket vorgeschlagen, auf 14 % bis 2030 zu erhöhen;
- die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energieträger am EU-Energiemix, wobei nachdrücklich die Forderung der Kommission unterstützt wird, den im REPowerEU-Plan vorgeschlagenen Anteil von 45 % in das „Fit-for-55“-Paket aufzunehmen;
- die Vorschläge zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Projekte im Bereich erneuerbarer Energieträger und zur Definition von „Go-to-Gebieten“ für solche Projekte.
In früheren Stellungnahmen hatte sich der Ausschuss bereits mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Energiekrise befasst und arbeitet nun weiter an der Ausarbeitung von Empfehlungen zur Verwirklichung der Energiewende:
- TEN/778 – REPowerEU: gemeinsames europäisches Vorgehen für erschwinglichere, sichere und nachhaltige Energie
- TEN/779 – EU-Politik zur Speicherung von Gas
- TEN/780 – Versorgungssicherheit und erschwingliche Energiepreise
- TEN/783 – Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien
- TEN/784 – Energiemärkte
- TEN/770 – Eine strategische Vision für die Energiewende, um die strategische Autonomie der EU zu ermöglichen
- TEN/771 – Öffentliche Investitionen in Energieinfrastruktur als Teil der Lösung der Klimaproblematik
Hintergrund: Das Risiko der Energieabhängigkeit
Der EWSA hat in mehreren Stellungnahmen vor den Risiken der Energieabhängigkeit gewarnt:
- TEN/767 – Lage der Energieunion 2021
- TEN/761 – Energiepreise
- TEN760 – Bedingungen für die soziale Akzeptanz der Energiewende und des Übergangs zu einer Niedrigemissionswirtschaft
- TEN/732 – Überarbeitung der TEN-E-Verordnung
- TEN/724 – Bericht über die Lage der Energieunion 2020 und Bewertung der nationalen Energie- und Klimapläne
- TEN/717 – EU-Strategie zur Integration des Energiesystems
- TEN/657 – Dritter Bericht zur Lage der Energieunion
- TEN/623 – Energiepreise und -kosten
- TEN/626 – Lage der Energieunion
Quellen:
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA);
Klimawandel: Die EU braucht mehr öffentliche Investitionen in die Energieinfrastruktur
In einer auf der September-Plenartagung verabschiedeten Stellungnahme vertritt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) die Auffassung, dass zur Erreichung der Energiewende und der Klimaziele massive öffentliche Investitionen erforderlich sind. Er schlägt vor, die Windfall-Profits abzuschöpfen und eine „goldene Regel“ zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen anzuwenden.
Die EU muss der Klimakrise mit einem dreifachen Ansatz begegnen: Mobilisierung angemessener Finanzmittel, Einbindung der Bürger*innen und des Privatsektors sowie eine starke politische Führung.
Die Botschaft der von Thomas Kattnig und Lutz Ribbe verfassten und auf der September-Plenartagung verabschiedeten Initiativstellungnahme des EWSA ist eindeutig: Um die steigende Stromnachfrage zu decken und die Klimaziele zu erreichen, muss die EU mehr in intelligente und erneuerbare Energiesysteme und Speicherinfrastrukturen investieren, und jede*r muss seinen Beitrag dazu leisten.
Der Verband der europäischen Elektrizitätswirtschaft, Eurelectric, kommt zu dem Schluss, dass die EU die Investitionen in das Stromnetz auf 55 Milliarden Euro pro Jahr verdoppeln und das Budget für den Aufbau sauberer Erzeugungskapazitäten auf 75 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen muss.
„Wir brauchen massive öffentliche Investitionen, um die Energiewende und die Klimaziele zu erreichen. Dies ist unerlässlich, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, die Energiearmut zu bekämpfen, die Preise leistbar zu halten und Arbeitsplätze zu schaffen“, so Kattnig.
Gestaltung eines gut funktionierenden Energiemarktes
Die Quote der öffentlichen Investitionen in saubere Energietechnologien, die für die Dekarbonisierung erforderlich sind, ist die niedrigste unter den großen Volkswirtschaften und gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der EU.
Ein gutes Instrument zur Beschleunigung der Energiewende ist die Straffung der Genehmigungsverfahren im Bereich der erneuerbaren Energien und die Einrichtung von „Go-to-Gebieten“ für solche Projekte. In diesem Zusammenhang ist es umso wichtiger, so genau wie möglich zu bestimmen, welche Vereinfachungen in den „Go-to-Gebieten“ gelten.
Im Hinblick auf die künftige Organisation der Energiesysteme und der Energieinfrastruktur müssen alle Verbraucher*innen eine aktive Rolle spielen: Haushalte, Unternehmen und Energiegemeinschaften müssen in die Entwicklung intelligenter Energiesysteme einbezogen werden. Außerdem müssen Anreize geschaffen werden, die es der Zivilgesellschaft ermöglichen, sich an der Energiewende zu beteiligen und sie zu finanzieren.
Das neue Zukunftsszenario ist gekennzeichnet durch ein Überwiegen der erneuerbaren Energien, eine stärker dezentralisierte Erzeugung und einen erhöhten Verbrauch vor Ort. Das Marktdesign und die Regulierung müssen an diese neue Realität angepasst werden, die notwendigen Bedingungen für die verschiedenen beteiligten Akteure schaffen und einen angemessenen Verbraucher*innenschutz gewährleisten.
Aus diesem Grund unterstützt der EWSA die Absicht der Kommission, die Gestaltung des Strommarktes zu verbessern, und spricht sich nachdrücklich für Marktbewertungen aus, um das Verhalten aller potenziellen Akteure zu analysieren, wobei er betont, dass es wichtig ist, vor der Unterbreitung von Vorschlägen eine umfassende Folgenabschätzung durchzuführen.
„Für die Gestaltung eines gut funktionierenden Energiemarktes ist es von zentraler Bedeutung, dass die Kommission die Vor- und Nachteile von öffentlichem und privatem Eigentum und/oder privater Finanzierung von Energieinfrastrukturen bewertet“, so Ribbe.
Abschöpfung von Zufallsgewinnen und „goldene Regel“ für öffentliche Investitionen
Der EWSA ist besorgt über die potenziell gefährliche destabilisierende Wirkung auf die Gesellschaft, die einerseits durch die extrem hohen Gewinne der Energieunternehmen und andererseits durch die zunehmende Energiearmut aufgrund von Energiepreissteigerungen verursacht wird.
Deshalb schlägt der Ausschuss vor, diese Zufallsgewinne mit Hilfe von Steuern abzuschöpfen, als finanziellen Ausgleich an die Energieverbraucher*innen weiterzugeben und für den Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung und der notwendigen Netzinfrastruktur zu verwenden.
Um die Energieunternehmen nicht von Investitionen in kohlenstoffarme Lösungen abzuhalten, sollte eine solche Besteuerung jedoch sehr sensibel definiert werden. Diesbezüglich fordert der EWSA die Kommission auf, unverzüglich Maßnahmen vorzuschlagen.
Der Ausschuss empfiehlt außerdem, Projekte im Zusammenhang mit dem europäischen Green Deal und der Energieunabhängigkeit von allen Regeln auszunehmen, die solche öffentlichen Investitionen behindern, d.h. die sogenannte „goldene Regel“ für öffentliche Investitionen anzuwenden, um die Produktivität sowie die soziale und ökologische Basis für das Wohlergehen künftiger Generationen zu sichern.
Insgesamt geht es hier um die Frage, wer in Zukunft für die wichtigsten Infrastrukturen zuständig sein wird. Der EWSA ist der Ansicht, dass das Energienetz aufgrund des vorrangigen öffentlichen Interesses durch öffentliches Eigentum definiert werden sollte, das dem Gemeinwohl verpflichtet ist und bestehende Ungleichheiten beseitigt.
Hintergrund: Das EWSA-Paket der Initiativstellungnahmen zur Energiewende
Der Ausschuss hat die Energiewende zu einem vorrangigen Thema für das Jahr 2022 erklärt und erarbeitet zu diesem Thema ein Paket von Initiativstellungnahmen, die in die übergreifende Stellungnahme „Eine strategische Vision für die Energiewende zur Ermöglichung einer nachhaltigen Entwicklung“ einfließen werden, deren Verabschiedung auf der Oktober-Plenartagung vorgesehen ist.
Das EWSA-Paket zur Energiewende setzt sich aus folgenden Stellungnahmen zusammen:
- TEN/770 – Eine strategische Vision für die Energiewende, um die strategische Autonomie der EU zu ermöglichen
- SOC/717 – Bekämpfung der Energiearmut und Resilienz der EU
- CCMI/190 – Dekarbonisierung der europäischen Industrie durch Technologien zur CO2-Entfernung
- INT/979 – KMU, sozialwirtschaftliche Unternehmen, Handwerk und freie Berufe – Fit für 55
- NAT/859 – Energiewende und Digitalisierung in ländlichen Gebieten
- ECO/583 – Finanzierung des Klimaanpassungsfonds durch Kohäsionsmittel und NextGenerationEU
- REX/550 – Die geopolitischen Auswirkungen der Energiewende
Quelle:
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA);
Leistbare und hochwertige Gesundheitsversorgung für alle Europäer*innen
Im Rahmen der Plenardebatte des EWSA mit Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas bekräftigte der EWSA seine unerschütterliche Unterstützung für eine Europäische Gesundheitsunion. Er forderte die Kommission auf, bei der Umsetzung der neuen europäischen Pflegestrategie ehrgeizig vorzugehen, um sicherzustellen, dass jede*r Europäer*in Zugang zu leistbarer und hochwertiger Gesundheitsversorgung hat.
Auf seiner Plenartagung führte der EWSA am 22. September eine Debatte über gesundheitspolitische Initiativen der EU mit dem Vizepräsidenten der Europäischen Kommission und Kommissionsmitglied für die Förderung der europäischen Lebensart, Margaritis Schinas.
Schinas lobte die Reaktion der EU auf die COVID-19-Pandemie und bezeichnete die EU-Strategie für Impfstoffe als einen „wissenschaftlichen Triumph“ und eine „europäische Erfolgsgeschichte“. Es bestehe jedoch kein Grund zur Selbstzufriedenheit, da die Pandemie noch nicht vorbei sei und weitere Anstrengungen erforderlich seien.
Er sagte, dass die gesamte EU in voller Solidarität mit der Ukraine mobilisiert wurde, indem sie medizinische Ausrüstung und medizinische Hilfe an den Grenzen bereitstellt oder Patient*innen in EU-Krankenhäuser verlegt. „Ich möchte Sie dafür loben, dass viele von Ihnen, Arbeitgeber*innen, Gewerkschafter*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, sich ebenfalls stark im Solidaritätsprozess engagieren. Wir sind Ihnen sehr dankbar für Ihr Engagement und Ihre Arbeit, die wir als inspirierend und ergänzend zu unserem eigenen Krisenmanagement empfinden.“
Doch sowohl COVID-19 als auch der Krieg in der Ukraine bedeuten für Europa ein böses Erwachen und markieren das Ende der „Ära der Unschuld“. Es ist an der Zeit, „das EU-Projekt als Ganzes [zu] stärken und mit unseren Grundwerten des Friedens und des Wohlstands weiterhin zusammen[zu]stehen“, sagte er.
„Dieses Erwachen hat uns gezeigt, dass wir wachsamer und durchsetzungsfähiger, autonomer und widerstandsfähiger sein müssen. Wenn es eine Politik gibt, in der das Streben nach Widerstandsfähigkeit und Autonomie mehr als anderswo erforderlich ist, dann ist es die Gesundheitspolitik. Wir sind entschlossen, zu zeigen, dass die Gesundheit nicht nur eine Politik ist, sondern dass sie uns ausmacht, dass sie Teil des Modells der offenen Gesellschaft ist, für das wir stehen, unserer europäischen Lebensweise“, betonte Herr Schinas.
„Dies ist der auf den Menschen ausgerichtete Weg, den Europa bei Bildung und Gesundheit geht. Als Europäer*innen mögen wir viele Unterschiede haben, aber wir sind uns einig, dass wir eine effiziente, universelle, effektive und kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung für alle brauchen“, erklärte er.
Kommissar Schinas vertrat die Auffassung, dass die Erwartungen der Menschen an die EU-Gesundheitspolitik über die in den EU-Verträgen festgelegte Zuständigkeit der EU für das Gesundheitswesen hinausgehen.
„Wir haben den letzten Zentimeter der in den Verträgen verankerten EU-Zuständigkeit ausgeschöpft“, sagte er und fügte hinzu, dass die Europäische Gesundheitsunion ein Versuch sei, ein neues regulatorisches Ökosystem jenseits der aktuellen Pandemie- und Gesundheitsbedrohungen zu schaffen und die Lücke zwischen den schwachen Bestimmungen in den Verträgen und den Erwartungen der Bürger*innen an eine umfassende EU-Gesundheitspolitik zu schließen.
Er wies jedoch erneut darauf hin, dass die Verwaltung der Gesundheitssysteme eindeutig in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle, während die EU versuche, die Bereitschaft für aktuelle und künftige Notfälle und Gesundheitsbedrohungen zu erhöhen, Solidaritätsmechanismen und Zusammenarbeit zu stärken und die Gesundheitsdatensysteme zu verbessern.
Die Aufstockung der Mandate von EU-Gesundheitsagenturen wie der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) oder die Einrichtung der EU-Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) zielen alle darauf ab, die Bereitschaft zu gewährleisten und die EU besser für den Umgang mit gesundheitlichen Notlagen zu rüsten. EU4Health ist mit einem Budget von 5,3 Milliarden Euro eines der ehrgeizigsten Programme für Investitionen in die Gesundheit und wurde als Reaktion auf COVID-19 ins Leben gerufen.
Die vier jüngsten von der Kommission vorgeschlagenen Initiativen zielen darauf ab, die Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsbehörden der Mitgliedstaaten zu verbessern, die Forschung zu intensivieren, eine qualitativ hochwertige und leistbare Gesundheitsversorgung für alle Europäer*innen unabhängig von ihrem Wohnort zu gewährleisten und Arzneimittel sowie Behandlungen erschwinglicher zu machen.
Dazu gehören die Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts, der Plan zur Krebsbekämpfung, der Vorschlag für den Europäischen Gesundheitsdatenraum und die Strategie für Arbeitskräfte und Pflege im Gesundheitswesen.
Als EU-Institution, die als erste die Schaffung einer Europäischen Gesundheitsunion gefordert hat und sich konsequent für eine Stärkung der EU-Kompetenzen im Gesundheitsbereich einsetzt, verabschiedete der EWSA auf der September-Plenartagung Stellungnahmen zu zwei der genannten Kommissionsinitiativen.
In der Stellungnahme zum Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) lobte der EWSA den EHDS-Vorschlag als eine hervorragende Möglichkeit, den*die Einzelne*n in die Lage zu versetzen, auf seine*ihre persönlichen Gesundheitsdaten zuzugreifen und sie zu kontrollieren. Er wies darauf hin, dass die Unterschiede in der digitalen Kompetenz zwischen den Mitgliedstaaten abgebaut werden müssen. Er bezeichnete den Aufbau von Vertrauen als Voraussetzung für den Erfolg des EHDS und sprach sich für eine groß angelegte öffentliche Kommunikationskampagne aus, um den Menschen die Vorteile des Austauschs zu verdeutlichen und ihnen Vertrauen in das System zu vermitteln.
Der EWSA verabschiedete auch die Stellungnahme zum Thema „Gesundheitspersonal- und Pflegestrategie“, in der er die Kommission aufforderte, eine ehrgeizige, auf den Menschen ausgerichtete Pflegestrategie zu entwickeln, mit der die Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege in der gesamten EU verbessert werden kann und die gleiche Qualitätsstandards in allen Mitgliedstaaten bzw. in den Regionen der einzelnen Länder gewährleistet. Außerdem schlug er die Einführung einer europäischen Pflegegarantie vor und legte den Schwerpunkt auf das Gesundheitspersonal und dessen Fähigkeiten, Ausbildung und Arbeitsbedingungen.
„Der Zugang zu einer leistbaren und hochwertigen Gesundheitsversorgung ist das Recht aller Menschen während ihres gesamten Lebenszyklus. Das Pflegesystem ist ein Lackmustest für unsere europäische Lebensweise, die sozial gerecht und integrativ sein muss. Wir schlagen eine europäische Pflegegarantie vor, um sicherzustellen, dass jeder in der EU lebende Mensch Zugang zu leistbaren und gerechten Pflegedienstleistungen hat. Wir betonen die Notwendigkeit eines transformativen Paradigmenwechsels, der über das Minimum hinausgeht und ein Qualitätsökosystem für die Pflege schafft, das niemanden zurücklässt“, so die Berichterstatterin für die Stellungnahme, Zoe Tzotze-Lanara.
Danko Relić, ebenfalls Berichterstatter für die Stellungnahme zum Thema Gesundheitspersonal, betonte die Notwendigkeit eines gut ausgebildeten, qualifizierten und motivierten Gesundheitspersonals im Einklang mit den Vorschlägen der Konferenz über die Zukunft Europas.
„Die Qualifikationen der Beschäftigten im Gesundheitswesen müssen verbessert werden. Diese Arbeitskräfte müssen gute Arbeitsbedingungen haben. Sie müssen adäquat bezahlt werden. Wir müssen diejenigen, die im Gesundheitssektor arbeiten, dort halten; sie brauchen angemessene Arbeitszeiten, eine gute Work-Life-Balance und Garantien für ihre Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz“, so Relić.
„Wir brauchen Pflege- und Gesundheitssysteme, die sich am Menschen, seinen Rechten und Bedürfnissen orientieren und die Menschen in alle relevanten Diskussionen, Beratungen und Entscheidungen einbeziehen. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, werden wir eine auf den Menschen ausgerichtete Gesundheitsversorgung für alle erreichen können. Nur so können wir gewährleisten, dass alle Europäer*innen gleichberechtigten und nachhaltigen Zugang zu einer Gesundheitsversorgung haben, die erschwinglich, präventiv, wirksam bei der Heilung von Menschen und von hoher Qualität ist“, so Relić abschließend.
Quellen:
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA);
Menschenwürdige Arbeit weltweit
Die jüngsten Krisen und die enormen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit bedrohen den Grundsatz der menschenwürdigen Arbeit. Auf seiner September-Plenartagung verabschiedete der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss eine Stellungnahme zum Thema „Menschenwürdige Arbeit weltweit“, in der er die Einbeziehung der Betroffenen, die soziale Verantwortung der Verbraucher*innen und einen wirksamen globalen Rechtsrahmen fordert.
Die Klimakrise, die COVID-19-Pandemie, die jüngsten technologischen Fortschritte und der Aufstieg der Gig-Economy und der Null-Stunden-Verträge haben dazu beigetragen, dass menschenwürdige Arbeit für Millionen von Arbeitnehmer*innen auf der ganzen Welt unerreichbar ist. Um dieses Problem anzugehen, hat die Europäische Kommission im Februar 2022 eine Mitteilung über menschenwürdige Arbeit weltweit vorgelegt.
In seiner Stellungnahme unterstützt der Ausschuss die Initiative der Kommission zur Förderung menschenwürdiger Arbeit in allen Sektoren und Bereichen auf lokaler und nationaler Ebene sowie den Vorschlag, Mechanismen zur Bewertung und Überwachung der Wertschöpfungskette von Unternehmen einzubeziehen, um menschenwürdige Arbeit zu gewährleisten.
Der EWSA bedauert jedoch, dass diese Mechanismen keinen Dialog mit den Sozialpartnern vorsehen. Die Einbeziehung von Arbeitgeber*innen, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft ist der Schlüssel zur Gewährleistung menschenwürdiger Arbeit entlang der gesamten Lieferkette, und sie können auch bei der Entwicklung neuer und wirksamer rechtlicher Rahmenbedingungen Orientierung und Unterstützung bieten.
In der Stellungnahme wird betont, dass menschenwürdige Arbeit sowohl die Nachfrageseite als auch die Angebotsseite betrifft. Die Verbraucher*innen verlangen zunehmend Waren und Dienstleistungen, die auf humane, gerechte und nachhaltige Weise hergestellt oder erbracht werden. Daher fordert der EWSA, dass diese sozial verantwortliche Rolle der Verbraucher*innen durch bessere Information und Ausbildung weiter gefördert wird.
Menschenwürdige Arbeit innerhalb und außerhalb der EU
Die EWSA-Berichterstatterin für diese Stellungnahme, María del Carmen Barrera Chamorro, forderte die EU auf, ihre Rolle als sozial verantwortliche Führungsmacht in der Welt weiter zu stärken: „Dies ist eine Forderung nach sozialer Gerechtigkeit in der Welt, aber auch eine Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung und Wirtschaftswachstum.“
Im Hinblick auf die bilateralen und regionalen Beziehungen der EU begrüßt der Ausschuss insbesondere den Vorschlag der EU, die Handelspolitik als Instrument zu nutzen, um Unternehmen aus Drittländern zur Einhaltung der internationalen Arbeitsnormen zu bewegen. In der Stellungnahme wird hervorgehoben, dass eines der Ziele darin besteht, Einfuhren aus Ländern zu erleichtern, deren Unternehmen die Sozial-, Arbeits- und Umweltvorschriften, einschließlich menschenwürdiger Arbeit, einhalten.
Die Förderung von menschenwürdiger Arbeit und sozialer Gerechtigkeit steht auch im Mittelpunkt des Regelwerks und der Politik der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO). Der Regionaldirektor des IAO-Regionalbüros für Europa und Zentralasien, Heinz Werner Koller, erklärte, dass es „in unseren unsicheren Zeiten“ vielleicht an der Zeit sei, sich an die Kernaussage der IAO-Verfassung von 1919 zu erinnern, wonach „dauerhafter Frieden nur dann geschaffen werden kann, wenn er auf sozialer Gerechtigkeit beruht. Wir sind also noch nicht am Ziel. Die Verwirklichung menschenwürdiger Arbeit bleibt eine weltweite Herausforderung. Die IAO und die EU sind in dieser Frage enge Verbündete, weil wir für dieselben Werte kämpfen. Ich sehe viel Raum für Austausch und Zusammenarbeit in der Zukunft.“
Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass der Vorschlag der Europäischen Kommission für ein globales Paket von Maßnahmen und Instrumenten auf den Grundsätzen der IAO beruht, wobei die Beseitigung von Kinder- und Zwangsarbeit im Mittelpunkt dieser Bemühungen steht. Aus diesem Grund wird in der Stellungnahme die Ratifizierung internationaler Arbeitsnormen sowie die Unterstützung der EU für einen verbindlichen UN-Vertrag über Wirtschaft und Menschenrechte und ein IAO-Übereinkommen über menschenwürdige Arbeit entlang von Lieferketten befürwortet.
Quellen:
Europäische Kommission, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA);