INFOMAILING INTERNATIONAL 09.12.2021
EU-Mindestlohn-Richtlinie gegen Lohn- und Sozialdumping
Mindestlöhne leisten einen wichtigen Beitrag zur Verringerung von Erwerbsarmut sowie zur Reduzierung von Lohnunterschieden und tragen zur Schaffung guter Arbeitsbedingungen bei – von höheren Mindestlöhnen würde auch Österreich als Hotspot für Arbeitskräftemobilität profitieren. Auch angesichts der COVID-19-Pandemie ist eine Stärkung der Mindestlöhne wichtig.
Nach dem grünen Licht des EU-Parlaments, das am 25. November mit großer Mehrheit für die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der EU gestimmt hatte, haben nun auch die Teilnehmer*innen des EU-Sozialgipfels, der am 6. Dezember in Brüssel stattfand, den europäischen Mindestlohn abgesegnet. Damit hat das Vorhaben die letzte entscheidende Hürde genommen, bevor die Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission starten können.
Enthaltung seitens ÖVP-Kocher
Eine Zustimmung Österreichs gab es im Rat allerdings nicht: „Bedauerlicherweise tritt die österreichische Regierung auch weiterhin ablehnend gegen eine Aufwertung der Arbeit und einen Rechtsrahmen für angemessene Mindestlöhne in der EU auf“, kritisiert Thomas Kattnig, Mitglied des Bundespräsidiums der younion _ Die Daseinsgewerkschaft, angesichts der Enthaltung des ÖVP-Arbeitsministers Martin Kocher, der diese u.a. mit Bedenken hinsichtlich des Umgangs mit Kollektivverträgen begründet.
Dabei sind Eingriffe in Kollektivverträge, um auf diese Weise einen einheitlichen Mindestlohn zu schaffen, gar nicht vorgesehen. Vielmehr geht es in der Richtlinie um die Förderung von Kollektivverhandlungen und die Verbesserung von Löhnen und Gehältern, ohne dabei Eingriffe in bestehende Systeme und Verträge vorzunehmen. Die Richtlinie soll nämlich erst dann greifen, wenn die kollektivvertragliche Abdeckung in einem Land nicht mehr gewährleistet ist und unter die Schwelle von 70% fällt. Erst dann ist eine Einführung nationaler Umsetzungspläne sowie (vorübergehender) gesetzlicher Mindestlöhne vorgesehen. Von daher stößt die Argumentation Kochers auch bei ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian auf Unverständnis: „Österreich wäre als KV-Weltmeisterland, in dem 98 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse durch Kollektivverträge abgesichert, gar nicht unmittelbar betroffen“, erklärt er.
Gegen Lohn- und Sozialdumping
„Aufgrund der geografischen Lage würden wir aber natürlich von höheren Mindestlöhnen in der EU profitieren. Österreich ist ein Hotspot für Arbeitskräftemobilität mit vielen Pendler*innen aus angrenzenden Nachbarländern“, so Katzian weiter.
Auch Kattnig sieht in der Richtlinie nicht zuletzt einen zentralen Baustein im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping, das in Europa leider zum Geschäftsmodell geworden ist: „Mindestlöhne sorgen dafür, dass sich die eklatanten Lohnunterschiede innerhalb der EU schrittweise annähern, wodurch der Druck, den Lohn- und Sozialdumping auf den österreichischen Arbeitsmarkt ausüben, reduziert werden könnte.“
Katzian appelliert an Arbeitsminister Kocher, seine Haltung zu überdenken: „24 Millionen Arbeitnehmer*innen würden von der Umsetzung des Mindestlohns in der EU profitieren. Eine europaweite Stärkung der Tarif- und Kollektivvertragsverhandlungen und höhere Mindestlöhne würden die wirtschaftliche Erholung von COVID-19, die es so dringend braucht, fördern.“
Quellen:
AK EUROPA (Österreichische Bundesarbeitskammer Büro Brüssel), Europäisches Parlament, Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB);
EGÖD fordert Verbesserungen für Gesundheits- und Pflegepersonal
Der Europäische Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD) fordert von den EU-Gesundheitsminister*innen Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Personalausstattung im Gesundheits- und Pflegebereich.
Anlässlich des Rates der Gesundheitsminister*innen am 7. Dezember 2021 fordert der EGÖD die Minister*innen auf, sich für das Recht auf Gesundheit und Pflege einzusetzen und daran zu erinnern, dass die Widerstandsfähigkeit der Gesundheits- und Pflegesysteme Investitionen und Finanzierung erfordert. Die Minister*innen müssen sich für die Beschäftigten in unseren Krankenhäusern, Pflegeheimen und dem gesamten Gesundheits- und Pflegesystem einsetzen – von Reinigungskräften bis hin zu Verwaltungsangestellten, Krankenpfleger*innen, Ärzt*innen und Hilfskräften.
Die Minister*innen sagen, wir bräuchten eine Rückkehr zu den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Das bedeutet eine Rückkehr zu koordinierten Sparmaßnahmen und dem damit verbundenen Elend.
Jan Willem Goudriaan, Generalsekretär des EGÖD, sagt: „Jene Personen, die unser Gesundheits- und Pflegesystem und unsere öffentlichen Dienste während dieser Pandemie am Laufen gehalten haben, verdienen etwas Besseres als eine Rückkehr zur Sparpolitik. Das Recht auf Pflege und das Recht auf Gesundheit für alle – Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte – erfordern finanzielle Mittel zur Bewältigung des anhaltenden Personalmangels und der hohen Arbeitsbelastung. Die Umverteilung des Wohlstands muss für die EU-Mitgliedstaaten oberste Priorität haben, um die zunehmenden Ungleichheiten zu bekämpfen und unsere öffentlichen Dienstleistungen, den Sozialschutz und die Maßnahmen zum Klimawandel zu finanzieren.“
Die Gewerkschaften im Gesundheitswesen haben kürzlich dargelegt, welche Lehren sie aus der Pandemie gezogen haben und was Regierungen und Arbeitgeber*innen tun müssen, um die Situation zu verbessern. Ein zentraler Punkt ist, dass die neoliberale Politik der Schaffung von Märkten im Gesundheitswesen, der Privatisierung von Dienstleistungen und der Sparmaßnahmen zur Kürzung der finanziellen Mittel einfach nicht funktioniert.
Dr. Adam Rogalewski, politischer Referent für Gesundheits- und Sozialdienste, EGÖD, fügt hinzu: „Die neoliberale Politik hat unsere Gesundheits- und Sozialdienstsysteme geschwächt und dazu geführt, dass sie nicht angemessen auf die COVID-19-Pandemie vorbereitet waren. Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass wir dringend angemessen ausgestattete, bedarfsorientierte Dienste und angemessen bezahlte Arbeitnehmer*innen brauchen, die vor Risiken hinsichtlich der Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, einschließlich psychosozialer Risiken und Stress, geschützt sind. Nur so können wir eine bessere Versorgungsqualität gewährleisten, und zu diesem Zweck müssen wir sicherstellen, dass die EU diese Grundsätze umsetzt.“
Quellen:
Europäischer Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD);
Herbstpaket 2021: Europäisches Semester 2022 gestartet
Mit der Präsentation des Herbstpaketes hat die Kommission am 24. November 2021 den Zyklus des Europäischen Semesters für das Jahr 2022 gestartet. Hierbei wurde angekündigt, den Corona-Wiederaufbaufonds (RRF) in das Europäische Semester zu integrieren. Des Weiteren sollen soziale sowie ökologische Aspekte stärker in den Fokus gestellt werden. Nichtsdestotrotz besteht weiterhin grundlegender Reformbedarf des Europäischen Semesters, um wohlstandsorientierte Politik in den Mittelpunkt der Europäischen Union zu rücken.
Das Europäische Semester wurde in Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 eingeführt und dient der Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der EU. Am 24. November 2021 präsentierten Vizepräsident Valdis Dombrovskis, Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni und Beschäftigungskommissar Nicolas Schmit das Herbstpaket für den nun beginnenden Zyklus des Europäischen Semesters, das im Vorjahr pandemiebedingt ausgesetzt wurde. Das Herbstpaket basiert hierbei auf der vorangegangenen Herbstprognose.
Was ist neu am Europäischen Semester?
Um den sozioökonomischen Auswirkungen der Corona-Pandemie in Europa zu begegnen, wurde ein Corona-Wiederaufbaufonds, die sogenannte Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF), ins Leben gerufen. Nun soll die RRF in das Europäische Semester integriert werden, da die Inhalte und politischen Ziele der beiden Prozesse eng miteinander zusammenhängen. Eine solche Integration ist durchaus zu begrüßen: Denn soziale Akteure können im Rahmen des Europäischen Semesters auf etablierte Kanäle und Netzwerke zurückgreifen, um ihren Anliegen politisch Gehör zu verschaffen, während sie in die Prozesse rund um den RRF ungenügend einbezogen wurden. Die Kommission kündigte außerdem an, Sozialpartner sowie andere Interessenvertretungen verstärkt in das Europäische Semester zu involvieren. Positiv ist außerdem das Bestreben der Kommission, die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen (UN) vermehrt in den Fokus des Europäischen Semesters zu stellen.
Der Jahreswachstumsbericht 2022
Kernstück dieses Herbstpakets ist der Jahreswachstumsbericht, der die zentralen wirtschaftspolitischen Prioritäten der EU für die nächsten 12 bis 18 Monate beschreibt und Handlungsempfehlungen für deren Umsetzung enthält. Im Fokus des Jahreswachstumsberichtes steht die grüne und digitale Transformation der Ökonomie sowie die Förderung eines sozial gerechten wirtschaftlichen Aufschwungs. Im Angesicht der Klimakrise ist daher die Umsetzung der Initiativen des Grünen Deals – wie z.B. des „Fit for 55“-Pakets – sowie die soziale Gestaltung des grünen Wandels („Just Transition“) von zentraler Bedeutung, so der Bericht. Auch der digitale Wandel im Rahmen der „digitalen Dekade“ soll forciert werden, wobei auch Investitionen in schulische (Erst-)Ausbildung sowie berufliche Weiterbildung als zentrales Element genannt werden.
Der gemeinsame Beschäftigungsbericht 2022
Der gemeinsame Beschäftigungsbericht, der ebenfalls Bestandteil des Herbstpakets ist, gibt einen Überblick über zentrale Entwicklungen im Bereich der Beschäftigungs- und Sozialpolitik. In diesem Jahr liegt der Fokus auf der Implementierung der Europäischen Säule sozialer Rechte. Hierbei wird unter anderem evaluiert, wie die Mitgliedstaaten in Bezug auf das sozialpolitische Scoreboard abschneiden. Außerdem werden Schwerpunkte bei der Umsetzung der beschäftigungs- und sozialpolitischen Ziele benannt: „Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, einschließlich Qualifizierungs- und Einstellungsanreizen, muss im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen, um die negativen Auswirkungen der Pandemie abzufedern“, so Beschäftigungskommissar Nicolas Schmit.
Reform des Europäischen Semesters dringend notwendig
Das Europäische Semester baut auf dem Stabilitäts- und Wachstumspakt auf, welcher den fiskalischen Spielraum für öffentliche Investitionen der Mitgliedstaaten stark einschränkt, oftmals auf Kosten des gesamtgesellschaftlichen Wohlstandes. Eine grundlegende Reform des Europäischen Semesters ist daher unerlässlich, um wohlstandsorientierte Politik in den Mittelpunkt der Europäischen Union zu stellen. Aus Sicht der Arbeiterkammer braucht es eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes: Durch die Einführung einer goldenen Investitionsregel könnten öffentliche Investitionen durch Defizite finanziert werden. Des Weiteren braucht es eine Demokratisierung des Europäischen Semesters durch stärkere Einbindung des Europäischen Parlaments in den gesamten Prozess. AK EUROPA wird sich daher auch an der wiederaufgenommenen Konsultation zur Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung beteiligen.
Quellen:
AK EUROPA (Österreichische Bundesarbeitskammer Büro Brüssel), Arbeiterkammer, Arbeiterkammer Wien, Arbeit & Wirtschaft Blog, Europäische Kommission;
565. Plenartagung des EWSA
Die 565. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) findet von 8. – 9. Dezember 2021 statt.
Auf der Tagesordnung stehen u.a. folgende Punkte:
- Debatte über die Prioritäten und den Wiederaufbau der EU, mit Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, und Maroš Šefčovič, Vizepräsident der Europäischen Kommission für interinstitutionelle Beziehungen und Zukunftsforschung
- Debatte über das Fit-for-55-Paket (im Zusammenhang mit den Stellungnahmen TEN/744-748-749-750-751) mit Kadri Simson, Kommissarin für Energie, Donnerstag, 9. Dezember, 10.00 Uhr (ua mit Berichterstatter Thomas Kattnig für den Klima-Sozialfonds)
- Debatte über die neue Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen und den EU-Standard für grüne Anleihen (im Zusammenhang mit den Stellungnahmen ECO/551-552-555-558-559-560), mit Mairead McGuinness, Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion
- Verleihung des Preises der Zivilgesellschaft
Stellungnahmen
Darüber hinaus werden im Rahmen der Plenartagung u.a. folgende Stellungnahmen behandelt:
Neue Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen und EU-Standard für grüne Anleihen
Der EWSA unterstützt nachdrücklich das Ziel, Investitionen so umzulenken, dass sie zum Übergang der EU zu einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen, fordert jedoch, dass die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft besser in die Gestaltung und Umsetzung nachhaltiger Finanzierung einbezogen werden. Der EU-Standard für grüne Anleihen hat das Potenzial, sowohl Emittenten als auch Investoren erhebliche wirtschaftliche Vorteile zu bringen und den grünen Wandel zu unterstützen.
Einbeziehung der Emissionen und des Abbaus von Treibhausgasen aus LULUCF (Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft)
Neue EU-Waldstrategie für 2030
Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe
Überarbeitung der Energieeffizienz-Richtlinie
Überarbeitung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie
Legislativpaket zur Bekämpfung der Geldwäsche
Der EWSA beklagt die Schwere des Geldwäschephänomens in der EU. Die derzeitige europäische Gesetzgebung ist angesichts von Koordinierungsmängeln und nationalen Divergenzen weitgehend unzureichend und unterstützt daher nachdrücklich das Legislativpaket zur Bekämpfung der Geldwäsche, insbesondere die Schaffung und Ausgestaltung der neuen Europäischen Behörde für die Bekämpfung von Geldwäsche (AMLA) mit direkten Aufsichtsbefugnissen.
Quellen:
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA);