Infomailing 19.01.2023
In dieser 1. Ausgabe unseres Infomailings im Jahr 2023 möchten wir dir alles Gute im neuen Jahr wünschen – wir hoffen, du hattest bisher einen gelungenen Start!
Das Jahr 2022 war stark geprägt vom Krieg in der Ukraine. Der russische Angriff auf die Ukraine wird von younion _ Die Daseinsgewerkschaft aufs Schärfste verurteilt. Wir solidarisieren uns gemeinsam mit PSI, EPSU sowie der internationalen Gewerkschaftsbewegung mit den ukrainischen Arbeitnehmer*innen und ihren Gewerkschaften. In zahlreichen Aktivitäten konnten wir unsere ukrainischen Kolleg*innen bisher unterstützen.
Neben der breiten Unterstützung für die Ukraine sowie der zahlreichen gegen Russland erlassenen Sanktionen bestimmten u.a. die Bekämpfung der Teuerung und insbesondere der drastisch gestiegenen Energiepreise sowie auch der Klimaschutz die europapolitische und nationale Agenda.
Die Europäische Union setzte wichtige klimapolitische Neuerungen wie die Überarbeitung des EU-Emissionshandels durch, arbeitete eine richtungsweisende Digitalgesetzgebung in Form des Digital Market Acts (DMA) und des Digital Services Acts (DSA) aus und setzte damit einen rechtlichen Rahmen für digitale Konzerne zum Schutz von Arbeitnehmer*innen und Konsument*innen. Auch die EU-Mindestlohn-Richtlinie wurde 2022 angenommen, was als wichtiger Erfolg für die Gewerkschaften und Arbeitnehmer*innen in ganz Europa verbucht werden kann. Damit werden angemessene Mindestlöhne in den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt und Maßnahmen zur Stärkung der nationalen Kollektivvertragssysteme gesetzt. Für Österreich soll damit auch der Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck durch Lohn- und Sozialdumping aus dem Ausland abgeschwächt werden.
Die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen des Gesundheits- und Pflegepersonals bildeten 2022 ebenso einen zentralen Bestandteil sowohl der EU-politischen als auch der gewerkschaftlichen Arbeit – so wurde der Kommissionsvorschlag für eine umfassende europäische Pflege- und Betreuungsstrategie vorgestellt, COVID-19 als Berufskrankheit anerkannt und seitens der EPSU im Dezember eine europäische Demonstration in Brüssel für konkrete Maßnahmen gegen die Pflegekrise veranstaltet.
Im Rahmen des Bundesvorstandes der younion _ Die Daseinsgewerkschaft fand Ende des Jahres außerdem der Auftakt der neuen younion-Klimabildungsreihe „Klima.Bildung.Arbeit“ statt – dabei hob Thomas Kattnig, Mitglied des Bundespräsidiums, die Wichtigkeit eines sozial gerechten Klimaschutzes hervor: „Klimaschutz muss sich jede*r leisten können und der Übergang muss für alle sozial und gerecht erfolgen. Niemand darf zurückgelassen werden. Dafür muss die Regierung sorgen“, so Kattnig.
Im Jahr 2023 stehen eine Reihe wichtiger Gewerkschafskongresse auf dem Programm. Neben dem ÖGB-Kongress und der younion-Halbzeitkonferenz finden dieses Jahr die Kongresse des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), des internationales Gewerkschaftsverbandes UNI Global Union (UNI) sowie der Internationale der öffentlichen Dienste (PSI) statt.
EU-politisch hält das neue Arbeitsprogramm der EU-Kommission für das Jahr 2023 auch in diesem Jahr zahlreiche Initiativen bereit, die uns in unserer Gewerkschaftsarbeit begleiten werden – von der weiteren Umsetzung des grünen und digitalen Wandels über neue Regelungen für die Plattformarbeit bis hin zur Schaffung eines europäischen Lieferkettengesetzes.
Weiterhin wird uns die Energiekrise sowie die notwendige Energiewende hin zu erneuerbaren Energien begleiten. Versorgungssicherheit und Leistbarkeit sowie die notwendigen Investitionen in die Energieinfrastruktur werden auch 2023 die politische Tagesordnung bestimmen.
Wir werden euch im Rahmen dieses Infomailings selbstverständlich auch im Jahr 2023 wie gewohnt über aktuelle Entwicklungen auf internationaler und EU-Ebene sowie aus dem Bereich der Daseinsvorsorge auf dem Laufenden halten.
Korruptionsskandal um Katar, Marokko und Mauretanien
Wie am 9. Dezember 2022 bekannt geworden ist, wurden die mittlerweile ihres Amtes enthobene frühere Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Eva Kaili, aufgrund von Korruptionsvorwürfen festgenommen. Eva Kaili, ihr Lebensgefährte Francesco Giorgi sowie der ehemalige EU-Abgeordnete und Präsident der NGO „Fight Impunity“, Pier Antonio Panzeri, sind bis auf weiteres in Haft und haben inzwischen (Teil-)Geständnisse abgelegt.
Grund für die Verhaftungen sind Korruptionsvorwürfe in Verbindung mit Katar, Marokko und Mauretanien. Der Vorwurf lautet, dass diese Staaten unter anderem mittels Geld- und Sachgeschenken versucht haben sollen, auf die genannten Personen Einfluss zu nehmen. Im Zentrum der Anschuldigungen steht dabei die erwähnte NGO „Fight Impunity“ von Ex-EU-Abgeordnetem Panzeri, der federführend am Skandal beteiligt sein soll.
Gewerkschaftsbund reagiert sofort auf die Vorwürfe
Neben Ex-Vizepräsidentin Kaili und deren Lebensgefährten sind mittlerweile auch die beiden EU-Abgeordneten Marc Tarabella aus Belgien und Andrea Cozzolino aus Italien beschuldigt, in den als „Qatargate“ bekanntgewordenen Skandal verwickelt zu sein. Auch der mittlerweile wieder freigelassene Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) und vormalige Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) Luca Visentini wurde im Zusammenhang mit dem Skandal zwischenzeitlich festgenommen.
Auf der am 21. Dezember 2022 abgehaltenen außerordentlichen Sitzung des IGB-Vorstandes wurde beschlossen, Luca Visentini bis zur nächsten Vorstandssitzung am 11. März 2023, bei der die Angelegenheit weiter geprüft werden soll, vom Amt des IGB-Generalsekretärs zu suspendieren. Visentini selbst räumt ein, eine Spende von „Fight Impunity“ erhalten zu haben, beteuert aber, dass er „keine Gegenleistung für das Geld verlangt“ habe und „keinerlei Bedingungen für diese Spende gestellt“ worden seien. Aus gewerkschaftlicher Sicht sind die Vorwürfe und Sachverhalte genauest zu prüfen.
Die Anschuldigungen gegen Visentini werden von einer EGB-Sonderkommission geprüft werden. Zudem hat der IGB bekanntgegeben, eine unabhängige externe Prüfung aller Finanzfragen im Hinblick auf die Umstände im Zusammenhang mit den Vorwürfen durchzuführen und vollumfänglich mit den belgischen Behörden zusammenzuarbeiten.
Dabei ist wichtig zu betonen, dass es sich hierbei um freiwillige interne Maßnahmen des IGB handelt. Seitens der Behörden gibt es keine Untersuchungen gegen den Internationalen Gewerkschaftsbund oder den Europäischen Gewerkschaftsbund.
EU reagiert mit Transparenzoffensive
Während der IGB auf gewerkschaftlicher Ebene also bereits reagiert hat, arbeitet man im Europäischen Parlament derweil mit Hochdruck am weiteren Umgang mit dem Skandal. Nachdem das Parlament Eva Kaili bereits kurz nach Bekanntwerden des Skandals ihres Amtes als Vizepräsidentin enthoben hat, arbeitet man nun daran, auch die Immunität der weiteren beschuldigten Abgeordneten aufzuheben.
Neben diesen personellen Konsequenzen werden teils seit Langem geforderte strukturelle Veränderungen nun in Angriff genommen. So wurde noch im Dezember eine Entschließung zur mutmaßlichen Einmischung Katars und der Notwendigkeit von mehr Transparenz in den EU-Institutionen verabschiedet.
Vor allem das bereits bestehende Transparenzregister des Europäischen Parlaments soll verbessert werden. So sollen zukünftig auch Aktivitäten von Vertreter*innen aus Drittstaaten im Transparenzregister festgehalten werden müssen. Außerdem wird gefordert, dass zukünftig alle Abgeordneten ihre Treffen mit Lobbyverbänden öffentlich machen müssen. Die österreichischen EU-Abgeordneten von SPÖ, Grünen und NEOS hatten zwar bereits vor dem Skandal all ihre Termine veröffentlicht, verpflichtend ist dies bisher allerdings nur unter bestimmten Umständen.
Neben der Verbesserung des Transparenzregisters hat die Kommission die Einrichtung eines neuen unabhängigen EU-Ethikgremiums vorgeschlagen, um die Regelungen in den EU-Institutionen weiter zu verbessern und zu harmonisieren. Ein solcher Schritt könnte dabei helfen, Schlupflöcher in den bestehenden Transparenzregeln zu schließen.
Zugleich betont die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und österreichische EU-Abgeordnete Evelyn Regner auch die Rolle der Strafverfolgungsbehörden. „Gegen genügend kriminelle Energie hilft kein Verhaltenskodex und kein Lobbyregister, sondern nur das Strafrecht. Wir sehen, wie wichtig die konsequente Arbeit von Polizei und Justiz im Kampf gegen die Feinde der Demokratie ist“, so Regner in einer Presseaussendung.
Skandal wird noch weitere Kreise ziehen
Wie die bisherigen Veröffentlichungen rund um „Qatargate“ gezeigt haben, ist davon auszugehen, dass es noch weitere Aufdeckungen rund um den Korruptionsskandal geben wird. Gerade deshalb ist es wichtig, schon jetzt schnellstmöglich neue Regelungen zu schaffen, um solche Skandale in Zukunft vermeiden zu können. Zwar hat das Europäische Parlament schon jetzt stärkere Transparenzregeln als viele nationale Parlamente, allerdings hat der aktuelle Skandal gezeigt, dass diese Regeln weiter gestärkt und Schlupflöcher geschlossen werden müssen. Daher sollte dieser Fall ein Startschuss dafür sein, die eigenen Regeln zu überarbeiten und den Schutz vor Korruption weiter zu festigen.
Quellen:
de.euronews.com, euractiv.com, Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB), Europäisches Parlament, evelyn-regner.at, Internationaler Gewerkschaftsbund (IGB), politico.eu;
Schwedens Ratspräsidentschaft im Zeichen von Energiekrise und Ukraine-Krieg
„Sicherheit, Resilienz, Wohlstand, demokratische Werte und Rechtsstaatlichkeit“ - so lauten die Prioritäten der neuen schwedischen EU-Ratspräsidentschaft. Am 1. Jänner 2023 hat Schweden das rotierende Präsidentschaftsamt von der Tschechischen Republik übernommen. Die Arbeit der schwedischen Regierung wird dabei weiterhin ganz im Zeichen von Energiekrise und Ukraine-Krieg stehen.
Die neue Präsidentschaft will eine geeinte Linie gegenüber der russischen Kriegstreiberei festigen und zugleich die Energiemärkte stabilisieren. Außerdem sollen Lieferketten gesichert, die Energiemärkte reformiert und der Schutz für Plattformarbeiter*innen verbessert werden.
Hilfe und EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine
„Die Aggression Russlands gegen die Ukraine“ sei weiterhin „ganz oben auf der Agenda“, versicherte der schwedische Außenminister Tobias Billström vor dem Beginn der neuen Präsidentschaftsperiode. Neben weiterer finanzieller und militärischer Unterstützung der Ukraine sollen unter der neuen Ratspräsidentschaft auch die ersten Schritte zu einer zukünftigen EU-Mitgliedschaft der Ukraine gesetzt werden. Angesichts der Blockadehaltung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ist allerdings fraglich, inwieweit Schweden Fortschritte in Sachen Hilfsgelder und EU-Beitritt erzielen wird können.
Schaffung krisensicherer Lieferketten
Durch ein von der Kommission vorgeschlagenes Notfallinstrument sollen Lieferketten in die EU künftig besser geschützt werden. So sollen Grenzschließungen und interne Ausfuhrbeschränkungen in Zukunft vermieden werden. Möglich gemacht werden soll dies, indem die Kommission mit neuen Befugnissen ausgestattet würde, mit denen sie etwa Exportverbote innerhalb der EU verhindern könnte. Die neue Präsidentschaft wird nun versuchen, innerhalb der Mitgliedstaaten zu vermitteln, um das neue Instrument möglichst bald fertigstellen zu können.
Energiesicherheit wiederherstellen und Energiemärkte reformieren
In Anbetracht des anhaltenden Konfliktes mit Russland ist die Energielage in der EU nach wie vor angespannt. Auch um künftig wieder mehr Energiesicherheit zu haben, will die Union sich langfristig von russischem Gas abhängig machen. Dafür muss neben massiven Investitionen in erneuerbare Energien auch die Funktionsweise des Strommarktes in der EU neu gestaltet werden. Die schwedische Ratspräsidentschaft wird daher einerseits versuchen, grüne Investitionen voranzutreiben und andererseits auf einen baldigen Vorschlag der Kommission zur Reform des Strommarktes und seines Merit-Order-Modells hoffen. Ein solcher Vorschlag wird noch im ersten Quartal 2023 und damit während der schwedischen Präsidentschaft erwartet.
Besserer Schutz für Plattformarbeiter*innen
Seit Monaten bearbeiten das Europäische Parlament und der Rat den Vorschlag zu einer Richtlinie über Plattformarbeit. Diese soll neue Regeln dafür schaffen, wie zum Beispiel die Arbeit von Uber-Fahrer*innen oder Lieferando-Zusteller*innen geregelt ist. Heikel dabei: Gerade in Schweden werden diese Dienstleister*innen gegenwärtig noch als selbstständige Auftragnehmer*innen eingestuft und haben somit deutlich weniger Rechte als klassische Arbeitnehmer*innen.
Bei dem Richtlinienvorschlag wird sich also zeigen, wie ernst es Schweden mit seiner Vermittlerrolle während der Präsidentschaft nimmt. Sowohl im Europäischen Parlament als auch im Rat sind die Vorstellungen dazu, wie mit Plattformarbeit umgegangen werden soll, gespalten. In zentralen Punkten wie der Frage, ab wann eine Person als Arbeitnehmer*in einzustufen ist, herrscht nach wie vor Uneinigkeit. Wenn es noch im ersten Halbjahr 2023 zu einer Einigung kommen soll, muss Schweden seine nationale Position in den Hintergrund stellen und sich stattdessen darauf konzentrieren, zwischen den verschiedenen Standpunkten der Mitgliedstaaten zu vermitteln. Gelingt dies, könnte bald eine längst überfällige Regelung zum Schutz von Plattformarbeiter*innen in trockenen Tüchern sein.
Weiterführende Informationen:
Der rotierende Ratsvorsitz erklärt
Übersicht über die Ziele der schwedischen Ratspräsidentschaft
Quellen:
Arbeiterkammer Wien, derstandard.at, de.euronews.com, dw.com, Europäische Kommission, politico.eu, Rat der Europäischen Union, Schwedischer Vorsitz im Rat der Europäischen Union;
IÖD verurteilt Aufstand von Bolsonaro-Anhänger*innen in Brasilien
Am Sonntag, 8. Jänner, hat eine Gruppe von Bolsonaro-Anhänger*innen in einem Aufstand den Regierungssitz der brasilianischen Republik gestürmt und geplündert. Präsident Lula ordnete eine Intervention auf Bundesebene an, um die Sicherheit des Bundesdistrikts, der für die Sicherheit in der Hauptstadt zuständigen Behörde, zu gewährleisten. Fast 300 Personen wurden verhaftet.
Vergangene Woche besetzten mehr als 200.000 Menschen den Platz der drei Mächte in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia, um die Amtseinführung von Luiz Inácio Lula da Silva zu feiern, der demokratisch für seine dritte Amtszeit gewählt wurde. Seitdem haben Brasilien und die Welt die Zunahme antidemokratischer Demonstrationen verzeichnet, die von extremistischen Flügeln des Bolsonarismus organisiert wurden – einer Bewegung, die vom ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro inspiriert und gefördert wurde. Diese Bedrohungen erreichten am Sonntag, 8. Jänner 2023, genau eine Woche nach dem Fest der Volksdemokratie, bei dem Lula vereidigt wurde, ihren Höhepunkt, als Bolsonaro-Anhänger*innen den Sitz der Staatsgewalt der Föderativen Republik Brasilien, darunter den Nationalkongress, den Obersten Gerichtshof (STF) und den Präsidentenpalast, den Sitz der Exekutive, überfielen und verwüsteten.
Am frühen Nachmittag besetzte eine Gruppe von Angreifer*innen den Platz, brach in die Gebäude ein und zerstörte öffentliches Eigentum und Symbole der brasilianischen Demokratie. Auf den Bildern ist deutlich zu erkennen, dass die Gruppe in Begleitung von Militärpolizist*innen auf der Esplanade der Ministerien ankam und der Einbruch in die Sitze der drei Staatsgewalten (Exekutive, Legislative und Judikative) mit minimalem Widerstand der Polizei stattfand. Presseberichte deuten auf ein mögliches Versäumnis oder sogar eine Komplizenschaft des Gouverneurs und des Sekretärs für öffentliche Sicherheit des Bundesdistrikts, des ehemaligen Justizministers von Bolsonaro, der wenige Stunden nach Beginn des Aufstandes entlassen wurde.
Nach einigen Stunden, in denen die Angreifer*innen in die Gebäude eindrangen, öffentliches Eigentum zerstörten und dies live in sozialen Medien übertrugen, erlangten die Sicherheitskräfte die Kontrolle über den Obersten Gerichtshof sowie den Präsidentenpalast und kurz darauf auch über den Kongress und den Senat zurück. Mindestens 300 Personen wurden verhaftet.
Präsident Lula ordnete ein Eingreifen des Bundes in die öffentliche Sicherheit des Bundesdistrikts an, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Der Exekutivsekretär des Justizministeriums, Ricardo Cappelli, wurde bis zum 31. Jänner zum Interventionsbeamten ernannt. Lula ist bereits in Brasilia und wird sich mit dem Krisenkabinett treffen, um die Folgen des Aufstandes zu bewerten und weitere Maßnahmen zu ergreifen. Die Präsidenten des Senats und des Kongresses haben die Einsetzung eines Krisenstabs angeordnet, um die Arbeit des Kongresses neu zu organisieren, der bereits am 9. Jänner in Brasilia wieder zusammentreten soll, um die Parlamentsferien zu unterbrechen.
Die Internationale der Öffentlichen Dienste (IÖD), die 30 Millionen Beschäftigte weltweit vertritt, lehnt den Aufstand in Brasilia, der von Gruppen inszeniert wurde, die das rechtmäßige Wahlergebnis nicht anerkennen, entschieden ab.
„Es ist kein Zufall, dass das brasilianische Simulakrum der Invasion des US-Kapitols praktisch am selben Tag stattfand wie die Invasion des US-Kapitols vor zwei Jahren. Es ist kein Zufall, dass sich Bolsonaro derzeit in Florida aufhält und sogar einen Aufenthalt in Mar-a-Lago, dem Anwesen von Donald Trump, in Betracht gezogen hat. Und dass Bolsonaros ehemaliger Justizminister – der seit Anfang des Jahres auch für die Sicherheit in Brasilia zuständig ist – ebenfalls dort ist. Es ist kein Zufall, dass die Polizei von Brasilia diejenigen, die den Angriff verüben wollten, sogar über 6 Kilometer eskortiert hat. Der Faschismus kennt keine Grenzen, besonders wenn er in die Enge getrieben wird. Es ist Aufgabe des brasilianischen Volkes, wachsam zu sein und die Demokratie zu verteidigen. Und es liegt an Lula, die nötige Führungsstärke zu zeigen, um das Vertrauen und die Verlässlichkeit in die demokratischen Institutionen wiederherzustellen: indem er alle für den Aufstand Verantwortlichen und diejenigen in der Polizei, die sich unangemessen verhalten haben, für ihre Verbrechen bezahlen lässt“, so Rosa Pavanelli, Generalsekretärin der IÖD.
„Die Bedeutung des Bolsonarismus ist heute noch klarer: Terrorismus. Sie nennen sich selbst Patrioten, aber sie sind nichts anderes als Putschisten und Vandalen, die den demokratischen Rechtsstaat nicht akzeptieren. Die IÖD schließt sich allen demokratischen Organisationen weltweit an, die diesen faschistischen Akt ablehnen, und fordert die Bestrafung der Verantwortlichen, insbesondere der politischen Führer und derjenigen, die antidemokratische Demonstrationen finanziert haben“, so der IÖD-Regionalsekretär für Interamerika, Jocelio Drummond.
„Wir werden nicht akzeptieren, dass das legitime Ergebnis der Wahlen in Brasilien missachtet und als Grundlage für kriminelle Putschversuche benutzt wird. Wir verteidigen alle Formen von Demonstrationen, solange sie friedlich und legitim sind, was hier nicht der Fall ist. Wir verteidigen den sozialen Dialog und die Achtung der demokratischen Institutionen, aber wir werden niemals Straffreiheit akzeptieren. Wir werden weiterhin für die Forderungen der Gewerkschaften und für eine gute Qualität der öffentlichen Dienste gegenüber der gewählten und rechtmäßigen Regierung kämpfen“, sagt die Sub-Regionalsekretärin für Brasilien, Denise Motta Dau.
Quellen:
Internationale der Öffentlichen Dienste (IÖD);
Proteste gegen das Regime im Iran halten weiter an
Seit Monaten demonstrieren im Iran zehntausende Menschen gegen das diktatorische Regime und für mehr Grundrechte und Gleichberechtigung. Auslöser der Proteste war der Tod der 22-jährigen iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini in Gewahrsam der iranischen „Sittenpolizei“. Amini wurde festgenommen, nachdem sie angeblich ihr Kopftuch nicht richtig getragen hatte. Die daraufhin vor allem durch Frauen* initiierten Demonstrationen weiteten sich rasch zu einer landesweiten Protestbewegung aus. Unter der Parole „Jin, Jiyan, Azadî" (zu Deutsch „Frau, Leben, Freiheit“) stellen sich die Protestierenden gegen das unterdrückerische klerikale Regime.
Aktive Rolle von Arbeitnehmer*innen und Gewerkschaft
Neben den Protesten auf der Straße drücken die Menschen im Iran ihre Ablehnung gegen das Regime auch an ihren Arbeitsplätzen aus. So haben Aktivist*innen im Dezember zu einem dreitägigen Generalstreik aufgerufen. Die Folge: In über 50 Städten kam es zu den größten Streiks in der Geschichte des Iran. Von Raffinerien über Schulen bis hin zu Geschäften – überall wurde als Zeichen der Solidarität mit den Protestierenden die Arbeit niedergelegt. Zudem wurde die Bevölkerung aufgerufen, in den drei Tagen des Generalstreiks Einkäufe zu vermeiden, um die Geldzirkulation so stark wie möglich einzuschränken.
Neben Streikenden geht die iranische Führung auch gegen Gewerkschafter*innen hart vor. So wurden seit Beginn der Proteste bereits mehrere iranische und internationale Gewerkschafter*innen verhaftet. Steve Cotton, Vorsitzender des Rates der globalen Gewerkschaften und Generalsekretär der Internationalen Transportarbeiter*innenförderation (ITF), bezeichnete die Verhaftungen in einer Presseaussendung des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) als einen „verzweifelten Versuch des Regimes, seine Kritiker zum Schweigen zu bringen“ und forderte deren sofortige Freilassung.
Auch der IGB-Kongress im November verurteilte die „brutale und mörderische Repression gegen die iranische Bevölkerung“ und drückte seine „absolute Solidarität mit den iranischen Arbeiter*innen und ihren Gewerkschaften“ aus.
Sanktionsforderungen des Europäischen Parlaments
Die sozialdemokratische Fraktion (S&D) im Europäische Parlament forderte die Mitgliedstaaten in einer Presseaussendung im Oktober auf, „Sanktionen gegen iranische Amtsträger einschließlich der iranischen Sittenpolizei […] zu verhängen. Sie sollten auf die EU-Liste der Personen gesetzt werden, gegen die Sanktionen im Zusammenhang mit schweren Menschenrechtsverletzungen verhängt wurden“, so Pedro Marques, Vizevorsitzender der S&D-Fraktion. Diese Forderungen wurden auch in einer Resolution des Europäischen Parlaments offiziell bestätigt.
Brutale Reaktion des Regimes
Internationalen Forderungen zum Trotz ist das Vorgehen des Staates gegen Protestierende und Streikende brutal. Hunderte Menschen sind seit Beginn der Proteste bereits ums Leben gekommen, Tausende wurden verletzt. Zu Beginn hatte die iranische Führung noch versucht, mit vermeintlichen Zugeständnissen wie der angekündigten Auflösung der „Sittenpolizei“ die Proteste zu beruhigen. Mittlerweile aber hat das Regime seine Unterdrückung noch weiter verschärft. So wird versucht, mit harten Haftstrafen und sogar Todesstrafen die Bevölkerung abzuschrecken. Laut Menschenrechtsorganisationen wurden demnach bereits über 18.000 Demonstrierende verhaftet und vier Personen hingerichtet, weitere Todesurteile sollen folgen. Zudem will der Iran die bisher bereits gültige Kopftuchpflicht strenger durchsetzen. So sollen Frauen* bei Verstößen gegen die Kopftuchpflicht mit Bußgeldern belegt werden. Darüber hinaus sollen auch Strafen wie Exil, Berufsverbot und Betriebsschließungen möglich sein. Dies gelte nicht nur für die betroffenen Frauen* selbst, sondern beispielsweise auch für Restaurantbesitzer, die Frauen* ohne Kopftuch bewirten.
Weitere Entwicklung unklar
Die Proteste gehen indes trotz der zunehmenden staatlichen Repression weiter. Wie sich die Proteste in Zukunft entwickeln werden, ist noch nicht abzusehen, da es im Iran keine Opposition, keine offiziellen Gewerkschaften und keine politischen Alternativen gibt. Klar ist allerdings, dass die internationale Gewerkschaftsbewegung weiterhin mit voller Solidarität hinter der Protestbewegung im Iran steht.
Weiterführende Informationen:
Resolution des IGB-Kongresses zu den Protesten im Iran
Aktuelle Übersicht zu den Entwicklungen im Iran
Quellen:
de.euronews.com, Europäisches Parlament, faz.net, Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D Fraktion), Internationaler Gewerkschaftsbund (IGB), tagesschau.de, taz.de, zeit.de;
EU setzt wichtigen Schritt für mehr Lohntransparenz
Die Verhandlungsteams des Europäischen Parlaments und des Rates haben sich Mitte Dezember 2022 auf die Schaffung einer neuen Richtlinie für mehr Lohntransparenz (pay transparency) in der EU geeinigt. Demnach müssen Betriebe mit über 100 Beschäftigten künftig offenlegen, wie weit die Lohnschere im eigenen Unternehmen auseinanderklafft und bei neuen Stellenausschreibungen über das angebotene Gehalt informieren. Liegt die Lohnungleichheit über fünf Prozent, müssen die Arbeitgeber*innen in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmer*innenvertretungen Maßnahmen ergreifen, um diese abzubauen. Bleiben derartige Schritte aus, drohen empfindliche Strafen.
Die Generalsekretärin des europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), Esther Lynch, bezeichnete die Einigung als „großen Beitrag zur Beseitigung dieser Ungerechtigkeit in ganz Europa“, da die Richtlinie „Frauen und ihren Gewerkschaften das Recht gibt, Lohndiskriminierung aufzudecken und anzufechten“, so Lynch weiter.
Mehr Transparenz für Bewerber*innen
Zukünftig sind Betriebe verpflichtet, Stellenausschreibungen geschlechtsneutral zu formulieren und in der Ausschreibung oder spätestens vor dem Vorstellungsgespräch Informationen über das Einstiegsgehalt oder die mögliche Gehaltsspanne zur Verfügung zu stellen. Die Festlegung der Gehälter muss dabei auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien beruhen. Auch die Frage nach dem Gehalt in einer früheren Anstellung ist zukünftig nicht mehr erlaubt.
Keine Geheimniskrämerei mehr bei Gehaltsinformationen
In vielen Betrieben verbieten es Vertragsklauseln den Arbeiternehmer*innen nach wie vor, offen über das eigene Gehalt zu sprechen. Damit soll bald Schluss sein. So wird es Unternehmen zukünftig untersagt, ihre Beschäftigten daran zu hindern, ihren Lohn offenzulegen oder Informationen über den Lohn von Kolleg*innen einzuholen.
Bessere Rechtslage bei Gerichtsverfahren
Die Situation von Arbeitnehmer*innen vor Gericht wird durch die neue Richtlinie ebenfalls gestärkt. So können diese sich künftig bei Rechtsstreitigkeiten oder bei Verwaltungsverfahren von Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmer*innenvertretungen vertreten lassen. Auch die Beweislast wurde umgekehrt. So müssen bei Verfahren künftig nicht mehr Arbeitnehmer*innen selbst das Fehlverhalten des Unternehmens belegen. Stattdessen sind künftig die Betriebe in der Pflicht zu beweisen, dass keine Gehaltsdiskriminierung stattgefunden hat. Wird eine Genderdiskriminierung bei der Bezahlung festgestellt, hat der*die Arbeitnehmer*in zukünftig das Recht, eine Entschädigung vom Unternehmen zu erhalten.
Bitter nötige Reform zur Bekämpfung der Lohnungleichheit
Betrachtet man das geschlechtsspezifische Lohngefälle (gender pay gap) in der EU und besonders in Österreich, wird schnell klar, wie wichtig diese Einigung ist. Nach wie vor verdienen Frauen für gleichwertige Arbeit EU-weit 13 Prozent weniger als Männer. In Österreich ist die Ungleichheit mit 18,9 Prozent sogar noch größer. Damit verdienen Frauen in einer Vollzeitanstellung bei gleichwertiger oder gleicher Arbeit monatlich im Durchschnitt über 800 Euro weniger als Männer. Noch drastischer ist die Situation bei der Pensionsschere, dem sogenannten gender pension gap. Hier bekommen Frauen in Österreich im Vergleich zu Männern sogar nur fast die Hälfte. So ist die Alterspension für Frauen um 41,1 Prozent und damit um durchschnittlich ganze 864 Euro niedriger als jene für Männer.
Angesichts dieser katastrophalen Zahlen muss diese Einigung bei der Lohntransparenz als das gesehen werden, was sie ist: ein Teilerfolg. Denn der Kampf für eine gendergerechte Bezahlung ist damit noch lange nicht beendet. Geht die Entwicklung im gegenwärtigen Tempo weiter, dauert es laut den Vereinten Nationen noch 250 Jahre, bis wir weltweit gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit erreichen. Darum muss auf allen Ebenen der Politik von der EU bis in die Gemeinde mit vollem Tempo daran gearbeitet werden, die Lohnschere endlich zu schließen.
Ausblick zur Umsetzung der Richtlinie
Die beschlossene Einigung muss noch vom Rat und vom Europäischen Parlament formal beschlossen werden. Im Anschluss an die offizielle Verabschiedung der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten maximal drei Jahre Zeit, um die neuen Regelungen in nationales Recht zu gießen.
Weiterführende Informationen:
Mitteilung der EU-Kommission zur politischen Einigung auf neue Vorschriften über Lohntransparenz
Aussendung des Europäischen Gewerkschaftsbundes zur Einigung über die Lohntransparenzrichtlinie
Interview zur Lohntransparenzrichtlinie mit der Berichterstatterin Kira Marie Peter-Hansen
Quellen:
euractiv.com, Europäische Kommission, Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB), Europäisches Parlament, Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB), Vereinte Nationen;