Infomailing 17.11.2022
EU-Kommission stellt ihr Arbeitsprogramm für 2023 vor
Die EU-Kommission hat am 18. Oktober 2022 ihr Arbeitsprogramm für das Jahr 2023 präsentiert. Das Programm soll ambitioniert auf die aktuellen Krisen reagieren und so Menschen und Unternehmen unterstützen. Neben positiven, gleichzeitig aber auch längst überfälligen Initiativen, ist festzustellen, dass im Bereich Soziales kaum Vorhaben zu finden sind.
Das neue Arbeitsprogramm 2023 umfasst insgesamt 43 Initiativen und damit sogar einen Planpunkt mehr als das Programm für das Jahr 2022. Dies ist dahingehend überraschend, als bereits im Mai 2024 die nächsten EU-Wahlen anstehen und es deshalb sehr unwahrscheinlich ist, erst im zweiten Halbjahr 2023 vorgestellte Legislativvorschläge fertig zu verhandeln. Die Initiativen gliedern sich laut EU-Kommission in sechs übergreifende Ziele:
Europäischer Grüner Deal
In Zusammenhang mit dem Grünen Deal ist aus Sicht der AK sowie der Gewerkschaften die Initiative zur Entkoppelung der Strom- und Gaspreise besonders hervorzuheben, welche die EU-Kommission Anfang 2023 vorlegen will. Obwohl EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die umfassende Reform des EU-Strommarkts bereits im Juni 2022 angekündigt hatte, lässt sie nach wie vor auf sich warten. Umso wichtiger wird es sein, dass der Vorschlag möglichst zeitnah erfolgen wird. Ein weiteres wichtiges Thema für die AK sind die neuen Gentechniken, zu denen die Kommission einen Vorschlag im zweiten Quartal vorlegen möchte. Aus Sicht der AK muss auf jeden Fall die Wahlfreiheit für Konsument*innen gewährleistet werden.
Ein Europa für das digitale Zeitalter
Um den grünen und digitalen Wandel zu beschleunigen, sollen EU-Maßnahmen zur Sicherstellung eines angemessenen und diversifizierten Zugangs zu kritischen Rohstoffen vorgeschlagen werden. Hierbei wird sowohl der Wiederverwendung als auch dem Recycling vorrangige Bedeutung beigemessen. Anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Binnenmarktes sollen Vorteile und Umsetzungslücken in einer Mitteilung aufgezeigt werden. Im Anschluss an die legislative Entschließung des Parlaments wird ein Vorschlag zur Asbesterkennung, -meldung, und -überwachung unterbreitet. Aus Sicht der AK und der Gewerkschaften sind die Maßnahmen zum Schutz vor Asbest zu begrüßen.
Eine Wirtschaft im Dienste der Menschen
Der mehrjährige Finanzrahmen für den Zeitraum 2021-2027 wurde unter außergewöhnlichen Umständen erstellt. Er zielte darauf ab, dass Europa grüner, digitaler und widerstandsfähiger aus der COVID-19-Krise hervorgehen soll. Positiv ist die geplante Halbzeitüberprüfung des EU-Haushalts, die zum ersten Mal in dieser Form durchgeführt wird. Auf diese Weise wird die EU in der Lage sein, den Haushalt anzupassen und dadurch besser auf neue Herausforderungen bis Ende 2023 reagieren zu können. Zur Förderung der Arbeitskräftemobilität wird die EU-Kommission eine Initiative zur Digitalisierung der Sozialversicherung vorlegen. Weitere sozialpolitische Initiativen werden bedauerlicherweise vergeblich gesucht.
Ein stärkeres Europa in der Wel
Die Sanktionen gegen Russland bleiben so lange in Kraft, wie der Angriffskrieg gegen die Ukraine andauert. Das Sanktionsinstrumentarium wird künftig auch Korruption erfassen.
Förderung unserer europäischen Lebensweise
Um den Wechsel zwischen den unterschiedlichen Bildungssystemen zu erleichtern, wird der EU-Rahmen für die Lernmobilität aktualisiert. Vorschläge zur Anerkennung von Qualifikationen hochqualifizierter Arbeitskräfte aus Drittstaaten soll dem Fachkräftemangel in den meisten EU-Staaten entgegenwirken. Im Bereich Gesundheitspolitik werden Initiativen zum Thema geistige Gesundheit erarbeitet, auch eine überarbeitete Empfehlung zu rauchfreien Umgebungen und eine neue Empfehlung zu durch Impfungen vermeidbare Krebsarten ist in Planung.
Neuer Schwung für die Demokratie in Europa
Zum Schutz der Demokratie in der EU vor externen Interessen wird die EU-Kommission im Jahr 2023 ein Paket zur Verteidigung der Demokratie vorlegen. Des Weiteren wird an einem EU-Ausweis für Menschen mit Behinderung gearbeitet, um die Anerkennung des Behindertenstatus in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen. Weiterhin bestehende Lücken beim Rechtsschutz gegen Diskriminierung sollen ebenfalls geschlossen werden.
Weiterführende Informationen:
Europäische Kommission: Gestaltung der digitalen Zukunft Europas
AK EUROPA: Das neue Arbeitsprogramm der EU-Kommission (2022)
AK EUROPA: Der Energiemarkt muss reformiert werden!
Quellen:
AK EUROPA (Österreichische Bundesarbeitskammer Büro Brüssel), Europäische Kommission, Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D), ÖGB Europabüro, ;
ÖGB fordert Ausstieg Österreichs aus Energiecharta-Vertrag
Reformierter Vertrag torpediert weiterhin Klimaschutz und zementiert umstrittene Konzernklagerechte ein
Der sogenannte Energiecharta-Vertrag (ECV) ist ein weitgehend unbekanntes multilaterales EU-Schutzabkommen für Handel und Investitionen im Energiebereich, das in den Mitgliedstaaten immer umstrittener wird. Auch unlängst abgeschlossene Modernisierungsverhandlungen werden das nicht ändern – im Gegenteil: Mit dieser Reform des Vertrags bleiben einseitige Konzernklagerechte bestehen, Klimaschutzmaßnahmen werden torpediert. Völlig falsche Signale, der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) appelliert deswegen an die österreichische Bundesregierung, aus dem Vertrag auszusteigen – ein Schritt, den andere EU-Länder bereits gesetzt bzw. angekündigt haben.
Seit dem Jahr 2019 laufen Verhandlungen zur Modernisierung des ECV. Bis Ende November 2022 bleibt für die Mitgliedstaaten Zeit zu prüfen, ob sie die im Juni dieses Jahres präsentierten Ergebnisse der Reformverhandlungen annehmen oder aus dem Vertrag aussteigen. Die notwendige Mehrheit für den Beschluss in der EU wackelt: Polen, Spanien, die Niederlande und Frankreich haben bereits offiziell angekündigt, aus dem Vertrag auszusteigen. Und auch Deutschland hat das jetzt getan. Belgien überlegt noch. Italien ist aufgrund zahlreicher Klagen gegen den Staat bereits vor einigen Jahren ausgestiegen.
Vorgetäuschte Klimafreundlichkeit
Der Entwurf für den neuen Vertrag gibt zwar vor, klimafreundlich zu sein, doch die Realität sieht anders aus: Klimaschutz ist nach wie vor nicht ausreichend ausgenommen, Konzerne können weiterhin staatliche Maßnahmen zum Klimaschutz torpedieren und sich durch Schadenersatzforderungen bereichern. Umstrittene Konzernklagerechte (ISDS) sollen nämlich bestehen bleiben. „In dieser Paralleljustiz sollen Energieriesen Staaten also weiterhin vor private Schiedsrichter zerren können“, kritisiert ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. Der ECV war in den vergangenen Jahren rechtliche Basis für viele Klagen gegen Klimaschutzmaßnahmen oder im Bereich der erneuerbaren Energien. In den 150 bekannten Fällen wurden Staaten zu Zahlungen von mehr als 45 Milliarden Euro angewiesen.
Weiterer Kritikpunkt: Zwar sollen fossile Brennstoffe mit dem neuen Vertrag künftig nicht mehr geschützt werden. Bis es aber so weit ist, werden noch viele Jahre vergehen. Die Ratifizierung von internationalen Verträgen ist sehr langwierig „Alle sind sich in Sonntagsreden und bei Gipfeln einig, dass Klimamaßnahmen sofort gesetzt werden, und dann wird hier gebremst? Uns läuft ohnehin schon die Zeit davon“, sagt Katzian.
Sogar Schadenersatz für Energiepreisbremsen wäre möglich
In der aktuellen Situation, in der sich zumindest offiziell alles darauf konzentriert, die Menschen angesichts der Teuerungskrise zu entlasten, besonders unverständlich: Auch bei Gesetzen, die darauf abzielen, den Energiepreis für Haushalte zu regulieren, könnten Energieriesen mit dem ECV Staaten auf Schadenersatz klagen, weil ihre Gewinnaussichten geschmälert werden. So wurde gegen Ungarn eine Klage in Millionenhöhe eingebracht, weil ein neues Sozialgesetz die Senkung der Stromkosten für Haushalte mit niedrigen Einkommen vorsah.
Katzian: Ausstieg ist alternativlos
Obwohl die Chance, sich aus dem Knebel dieses Klima-Killer-Vertrags zu befreien, noch nie so gut war wie jetzt, zögert die Bundesregierung. Österreich hat noch keine offizielle Position, das Wirtschaftsministerium dürfte sich dem Vernehmen nach gegen einen Ausstieg stellen.
„Völlig unverständlich“, resümiert Katzian, der die österreichische Bundesregierung dringend dazu auffordert, wie andere Mitgliedsstaaten aus dem ECV auszusteigen: „Der Ausstieg ist alternativlos, alles andere wäre ein nicht nachvollziehbarer Schritt der Unglaubwürdigkeit. Wer Ja zu klimafreundlicher und sozial gerechter Politik sagt, der muss auch Nein zum Energiecharta-Vertrag sagen!“
Quellen:
Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB);
Neue Regeln für saubere Luft und sauberes Wasser vorgeschlagen
Bei der Umsetzung des Grünen Deals, durch den Europa bis 2050 zu einem klimaneutralen Kontinent werden soll, hat die Europäische Kommission am 26. Oktober 2022 das nächste Gesetzespaket vorgestellt. Damit sollen Luft und Wasser in der EU sauberer werden. Vor allem sollen aber auch die Möglichkeiten, bei Verstößen Klagen einzubringen, verbessert werden.
Jährlich sterben in Europa 300.000 Menschen vorzeitig aufgrund von Luftverschmutzung, und rund 10 Millionen Bürger*innen in der EU haben nach wie vor keinen Zugang zu grundlegender Sanitärversorgung. Um diese Zahlen zu senken, hat die Europäische Kommission die Änderung von mehreren bestehenden Richtlinien vorgeschlagen: Die Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft für Europa, die Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser sowie Bestimmungen zu Schadstoffen in Oberflächengewässern und Grundwasser.
Strengere Grenzwerte bei Luftschadstoffen
Der Vorschlag über die Luftqualität und saubere Luft für Europa sieht strengere Grenzwerte für verschiedene Schadstoffe ab 2030 vor. So soll der Grenzwert für Stickstoffdioxid, das maßgeblich im Straßenverkehr entsteht, von 40 auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft reduziert werden. Auch die Grenzwerte für Feinstaub sollen deutlich gesenkt werden. Weitere Luftschadstoffe, wie beispielsweise ultrafeine Partikel, müssen erstmals gemessen und der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden. Doch auch wenn diese strengeren Werte einen positiven Schritt darstellen, so bleiben sie dennoch hinter den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück. Eine schadstofffreie Luft wird erst für das Jahr 2050 angestrebt.
Neben den neuen Grenzwerten beinhaltet der Vorschlag wichtige Neuerungen, wenn es darum geht, Schritte im Falle von Verstößen einzuleiten. So soll künftig allen Personen der Zugang zur Gerichtsbarkeit offenstehen. Die Möglichkeit von finanziellen Entschädigungen ist ausdrücklich vorgesehen, wenn die Gesundheit durch Luftverschmutzung beeinträchtigt wurde. Organisationen öffentlichen Rechts sowie NGOs wird das Recht eingeräumt, eine Verbandsklage bei Verstößen einzuleiten. Auch wenn viele dieser Bestimmungen zwar schon durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs festgestellt wurden, ist deren Verankerung in konkreten Rechtsakten ein wichtiger Schritt.
Neue Regeln auch bei Wasser
Gesundheits- und umweltschädigende Stoffe im Wasser sollen in Zukunft auch besser kontrolliert werden. So ist vorgesehen, die Grenzwerte für 16 Schadstoffe nachzubessern sowie Kontrollen für 25 neue Schadstoffe vorzuschreiben. Dazu zählt neben verschiedenen Pestiziden, Arzneimitteln inklusive Antibiotika und Industriechemikalien auch das in der Landwirtschaft weiterhin häufig eingesetzte Herbizid Glyphosat.
Um die Abwässer besser zu behandeln, hat die Kommission auch eine Verschärfung der Vorschriften für die Behandlung von kommunalen Abwässern vorgelegt. Neben neuen Überwachungsanforderungen für Mikroplastik sollen Abwasser systematisch auf Viren, darunter auch COVID-19, kontrolliert werden. Außerdem sollen Hersteller*innen von Arzneimitteln und Kosmetika für die Beseitigung giftiger Mikroschadstoffe in Abwässern durch diese Produkte gemäß dem Verursacher*innenprinzip aufkommen müssen. Schlussendlich werden die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, den Bürger*innen Zugang zu sanitärer Grundversorgung zu gewähren, insbesondere für schutzbedürftige und marginalisierte Gruppen. Diese Bestimmung bedeutet eine überfällige Umsetzung einer zentralen Forderung der maßgeblich von den Gewerkschaften getragenen Europäischen Bürger*inneninitiative (EBI) right2water, die im Jahr 2013 als erste erfolgreiche EBI von 1,8 Millionen Menschen unterzeichnet wurde.
Wie geht es weiter
Die vorgeschlagenen Änderungen zu den Richtlinien werden nun im Europäischen Parlament sowie im Rat verhandelt. Ein Abschluss sollte noch vor den EU-Wahlen im Mai 2024 angestrebt werden, um längere Verzögerungen im Gesetzgebungsprozess zu vermeiden.
Weiterführende Informationen:
Europäische Kommission: Kommission schlägt Vorschriften für saubere Luft und sauberes Wasser vor
AK EUROPA: Zugang zu Wasser als Menschenrecht
AK EUROPA: Trinkwasserrichtlinie – EU-Institutionen erzielen politischen Kompromiss
AK EUROPA: Eurovignettenrichtlinie – Straßenverkehr soll sauberer werden, aber nicht verlagert
Quellen:
AK EUROPA (Österreichische Bundesarbeitskammer Büro Brüssel), Europäische Kommission, Europäische Union, Heinrich Böll Stiftung;
Bessere Arbeitsbedingungen bedeuten eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung
Pan-europäische EGÖD-Konferenz für Gesundheits- und Sozialdienste verabschiedet Erklärung für dringende Maßnahmen zur Behebung des Personalmangels und ruft zu diesem Zweck zu einer europäischen Demonstration am 9. Dezember auf.
Der Europäische Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD) hat die pan-europäische Konferenz für das Gesundheits- und Sozialwesen organisiert. Die Konferenz, die nur alle fünf Jahre stattfindet, versammelte 90 Teilnehmer*innen, darunter auch Vertreter*innen der younion _ Die Daseinsgewerkschaft, aus dem gesamten Kontinent von Norwegen bis Kasachstan. Zu den Redner*innen gehörten Vertreter*innen aller relevanten Organisationen, darunter die Internationale Arbeitsorganisation (IAO), die Europäische Kommission und Forschungseinrichtungen wie das Europäische Observatorium für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik (WHO und EU-Forschungsorganisation), Eurofound oder die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.
Die Konferenz setzte sich im Rahmen mehrerer Panels u.a. mit den folgenden Themen und Fragestellungen auseinander:
- Wie kann der Gesundheits- und Sozialsektor nach der Pandemie widerstandsfähig gemacht werden?
- Austausch von politischen Vorschlägen und bewährten Verfahren zur Bekämpfung des Personalmangels
- COVID- und Post-COVID-Bedingungen
- Wie können Tarifverhandlungen und Gewerkschaften im Gesundheits- und Sozialwesen, insbesondere im privaten Sektor, gestärkt werden?
Auf der Konferenz verabschiedeten die Delegierten eine Erklärung, in der festgehalten wird, dass es dringend notwendig ist, vom Applaus zu konkreten Maßnahmen zur Rettung des Gesundheits- und Sozialsektors überzugehen. In der Erklärung heißt es unter anderem:
In der gesamten Europäischen Region beobachten wir eine weit verbreitete Unruhe unter den Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen. Von der Abstimmung über Streiks im Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) im Vereinigten Königreich über die Androhung von Massenkündigungen in Finnland bis hin zu landesweiten Demonstrationen von Beschäftigten des Gesundheitswesens in Italien und Frankreich sieht sich die Region mit einer wachsenden Unzufriedenheit im Gesundheits- und Sozialpflegesektor konfrontiert.
Die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen können nicht darauf warten, dass der Sektor aufgrund von Personalmangel zusammenbricht. Die Probleme sind dringend und müssen jetzt angegangen werden.
Zu diesem Zweck unterstützt die Konferenz einen Aufruf zu einer Aktion am 9. Dezember in Brüssel anlässlich der Sitzung des Europäischen Gesundheitsrates.
Quellen:
Europäischer Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD);