
Infomailing 03.11.2022
Plenartagung des Europäischen Parlaments – Wie wurde abgestimmt?
Die vergangene Plenarsitzung des Europäischen Parlaments hat von 17. bis 20. Oktober 2022 stattgefunden. Welche Themen dabei auf der Tagesordnung standen, ist hier nachzulesen.
Die namentlichen Abstimmungen behandelten die folgenden Themen:
- Ausbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe
- Parlament verabschiedet seine Position zum EU-Haushalt 2023
- Frontex: Parlament verweigert Entlastung für Haushaltsjahr 2020
- Keine Anerkennung von russischen Reisedokumenten aus besetzten Gebieten
- Bekämpfung von Hassverbrechen gegen LGBTIQ+ Personen
Ausbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe
Das Parlament verabschiedete sein Verhandlungsmandat zum Aufbau einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe in der EU. Bis 2026 soll es EU-weit entlang der Hauptverkehrsstraßen alle 60 km eine Ladestation für E-Fahrzeuge geben und bis 2028 alle 100 km eine Wasserstofftankstelle. Alternative Tankstellen sollten für alle Fahrzeuge zugänglich sein. Darüber hinaus sollte die Bezahlung einfach und die Preise für Kraftstoffe sollten erschwinglich sein. Die neuen Vorschriften sind Teil des „Fit-for-55“-Pakets, mit dem die EU ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 senken will.
Parlament verabschiedet seine Position zum EU-Haushalt 2023
Geht es nach den Abgeordneten, so sollen die Konsequenzen des Ukrainekrieges, die Energiekrise sowie die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie im Mittelpunkt des EU-Budgets 2023 stehen. Dementsprechend veranschlagt das Parlament mehr als 850 Millionen Euro, um die Auswirkungen des Ukrainekriegs in den Griff zu bekommen. Insgesamt soll das EU-Budget für 2023 187,3 Milliarden Euro ausmachen, wobei die Abgeordneten fast alle von den EU-Mitgliedstaaten vorgenommenen Kürzungen wieder rückgängig machten. Signifikante Budgeterhöhungen wünschen sich die Abgeordneten u.a. in den Bereichen Erasmus+, Erhöhung der Energieunabhängigkeit der EU sowie beim Kampf gegen den Klimawandel.
Frontex: Parlament verweigert Entlastung für Haushaltsjahr 2020
Im Rahmen des Entlastungsverfahrens prüft das Parlament die Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung einzelner EU-Organe und bewertet überdies, inwieweit das betreffende Organ im Einklang mit den Werten der EU gehandelt hat. Vor diesem Hintergrund verweigerte die Mehrheit der Abgeordneten der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex die Entlastung für das Haushaltsjahr 2020. Kritisiert werden schwerwiegende Verfehlungen unter dem ehemaligen Exekutivdirektor der Agentur, der am 28. April 2022 zurückgetreten war. Frontex habe die Grundrechte von Migrant*innen sowie von Asylbewerber*innen nicht geschützt und war überdies zwischen März 2020 und September 2021 in illegale Pushbacks von mindestens 957 Flüchtlingen verwickelt. Gleichzeitig sprachen sich viele andere Abgeordnete für die Erteilung der Entlastung aus, indem sie u.a. auf die laufenden Reformen bei Frontex hinwiesen.
Keine Anerkennung von russischen Reisedokumenten aus besetzten Gebieten
Das Parlament sprach sich für einen Gesetzesvorschlag aus, demzufolge die EU künftig keine Reisedokumente mehr anerkennen soll, die Russland in den illegal besetzten Gebieten in der Ukraine sowie in den sogenannten abtrünnigen Gebieten Abchasien und Südossetien in Georgien ausgestellt hat. Die Nichtanerkennung dieser Reisepässe soll sich auf die Ausstellung von VISA für Inhaber*innen solcher Pässe bzw. den Übertritt der EU-Außengrenzen erstrecken. Die Abgeordneten betonten allerdings, dass das Recht, in die EU aus humanitären Gründen einzureisen und um Asyl anzusuchen weiterhin bestehen bleibe.
Bekämpfung von Hassverbrechen gegen LGBTIQ+ Personen
Als Reaktion auf einen Mord mit homophobem Hintergrund, bei dem ein Rechtsradikaler zwei junge Männer in Bratislava erschoss, forderten die Abgeordneten die EU-Mitgliedstaaten dazu auf, stärker gegen Hassverbrechen gegen Personen der LGBTIQ+ Community vorzugehen. Es könne nicht sein, dass homophobe, rechtsradikale Gruppierungen in einigen EU-Mitgliedstaaten nicht zur Verantwortung gezogen würden. Die Mitgliedstaaten müssten daher sicherstellen, dass Hassverbrechen gegen Homosexuelle untersucht und strafrechtlich verfolgt werden. Außerdem müsse bereits bei der Sprache angesetzt werden, indem man aggressive, abwertende und homophobe Äußerungen gegenüber Personen aus der LGBTIQ+ Community stärker verurteile.
Weitere Höhepunkte
Die Abgeordneten zeichneten das „ukrainische Volk“ mit dem Sacharow-Preis 2022 aus. Das ukrainische Volk kämpfe nicht nur für den Schutz seiner Heimat, seiner Souveränität, seiner Unabhängigkeit und seiner territorialen Integrität, sondern es verteidige auch die europäischen Werte, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vor einem Regime, das die Demokratie untergraben und die Union schwächen und spalten wolle, so die Abgeordneten.
Das Parlament verabschiedete eine Entschließung mit seinen Forderungen für die Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen (COP27), die vom 6. bis 18. November in Ägypten stattfinden wird. Der Angriff Russlands auf die Ukraine zeige, wie dringend das weltweite Energiesystem umgestaltet werden müsse. Darum müssten die EU und alle G20-Staaten vorangehen und ihre Klimaschutzziele für 2030 höherstecken, um die Erderwärmung im Einklang mit dem Pariser Übereinkommen zu begrenzen. In der Entschließung wird auch darauf hingewiesen, dass die EU weltweit am meisten Geld für den Klimaschutz in Entwicklungsländern ausgibt. Die Industrieländer müssten dafür sorgen, dass die Entwicklungsländer wie versprochen jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz erhalten. Diese Gelder müsse man schon 2022 freigeben.
© ÖGfE
Die nächste Plenarsitzung findet von 21. bis 24. November 2022 statt.
Quellen:
Europäisches Parlament, Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE);
Bewältigung der Energiekrise
Organisierte Zivilgesellschaft fordert realistischen und pragmatischen Ansatz bei der Energiewende.
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat seine strategische Vision im Energiebereich erörtert und herausgestellt, welche Maßnahmen für die Reform des EU-Energiemarkts erforderlich sind. Weiterhin machte er deutlich, dass Versorgungssicherheit und erschwingliche Preise sowohl für die Verbraucher*innen als auch für die Industrie gewährleistet werden müssen.
Der EWSA setzt sich entschlossen für die Dekarbonisierung des EU-Energiesystems ein und fordert die politischen Entscheidungsträger in der EU auf, sich mit den Folgen der jahrzehntelangen Energieabhängigkeit auseinanderzusetzen.
An der Debatte über die Energiewende und die strategische Autonomie der EU nahm u.a. Professor Leonardo Meeus vom Europäischen Hochschulinstitut (EHI), Direktor der Florence School of Regulation und Inhaber des Loyola-de-Palacio-Lehrstuhls im Robert-Schuman-Zentrum, teil. Er verwies dabei auf die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Reformen des EU-Strommarkts und machte deutlich, dass der Strommarkt, wie er sich in den letzten 20 Jahren entwickelt hat, Teil unserer Zukunft sein könnte, sofern er vollendet wird und mit neuen Instrumenten zur Einbeziehung der Verbraucher*innen und zur Modernisierung der Netze einhergeht.
Ohne die Strommärkte wäre die Energiekrise noch schlimmer. Wenn es in einem Mitgliedstaat zu Engpässen kommt, kann die Versorgung über Grenzen hinweg gewährleistet werden, wodurch ein Beitrag zur Stabilität und Solidarität in der Europäischen Union geleistet wird, führte er aus.
Die Debatte fand im Zusammenhang mit der Verabschiedung der von Thomas Kattnig, Mitglied des Bundespräsidiums der younion _ Die Daseinsgewerkschaft, Lutz Ribbe und Tomasz Andrzej Wróblewski erarbeiteten Stellungnahme Eine strategische Vision der Energiewende für die strategische Autonomie der EU statt.
Die Energiewende ist die zentrale politische Priorität des EWSA für 2022, und diese Initiativstellungnahme ist eine Rahmenstellungnahme, in die die Schlussfolgerungen aus sieben weiteren Stellungnahmen der sechs Fachgruppen und der Beratenden Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) des EWSA eingeflossen sind.
In der Stellungnahme wird die Vision des EWSA für die Energiewende und seine Rolle bei der Verwirklichung der strategischen Autonomie der EU dargelegt. Schwerpunkte sind dabei die Beschleunigung der Dekarbonisierung, die Verringerung der Abhängigkeit von Energieimporten, die Stärkung der Eigenverantwortung der Bürger*innen und Unternehmen für die Energiewende und die Unterstützung finanziell schwächerer Haushalte.
In der Debatte betonte Herr Wróblewski, dass die derzeitige Energiekrise und die mangelnde Versorgungssicherheit, -stabilität und -verlässlichkeit uns weniger hart getroffen hätten, wenn frühzeitig mit gezielteren Maßnahmen reagiert und die Europäische Energieunion ernster genommen worden wäre. Das Ziel bestehe nicht darin, Abhängigkeiten zu diversifizieren, sondern für ein Höchstmaß an strategischer Unabhängigkeit und Autonomie im Energiebereich zu sorgen.
Wie Herr Ribbe erläuterte, zeigt der Ausschuss in seiner Stellungnahme auf, welche Maßnahmen im Energiesektor erforderlich sind, um unabhängiger von Energieimporten zu werden und strategische Autonomie zu erreichen. Dabei betonte er, dass die Zivilgesellschaft bei der Energiewende eine wichtige Rolle spielen kann.
Abschließend bemerkte Herr Kattnig, dass die soziale Dimension im Zuge der Energiewende berücksichtigt werden muss und dass ein gerechter Übergang nicht nur eine Frage der Finanzierung des Wandels ist, sondern auch das Ziel beinhaltet, die Arbeitnehmer*innenrechte zu wahren. So müsse für menschenwürdige Arbeit, gute Arbeitsplätze, eine Stärkung der demokratischen Teilhabe und soziale Sicherheit gesorgt werden.
Quellen:
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA);
Nachhaltige Handelspartnerschaften als Eckpfeiler des Grünen Wandels?
Internationale Handelsbeziehungen können eine wesentliche Rolle am Weg hin zu einer grünen und gerechteren Weltwirtschaft spielen. Dieser Ansicht ist die EU-Kommission in ihrer am 22. Juni 2022 vorgestellten Mitteilung über die Macht von Handelspartnerschaften. Zwar werden durch die darin genannten Vorschläge langjährige Forderungen aufgegriffen, gleichzeitig greifen diese angesichts des Klimawandels und globaler Ungleichheit zu kurz, wie die AK in ihrem aktuellen Positionspapier feststellt.
In vielen Handelsabkommen der EU finden sich eigene Kapitel zum Thema Nachhaltigkeit, die grundlegende Übereinkommen der Internationale Arbeitsorganisation (IAO) und multilaterale Umweltübereinkommen wie das Pariser Klimaabkommen adressieren. Aufgrund deren Unverbindlichkeit konnten diese allerdings bisher nicht zur Verbesserung von Arbeits- und Umweltstandards beitragen, was sowohl die AK als auch die Gewerkschaften in der Vergangenheit wiederholt kritisierten. Als wesentliche Orientierungshilfe bei der praktischen Durchsetzung der Nachhaltigkeitskapitel dient ein 15-Punkte-Aktionsplan, dessen vorzeitige Überprüfung der Wirksamkeit nun in der Mitteilung über die Macht von Handelspartnerschaften mündete.
Wesentliche Bestandteile des neuen TSD-Ansatzes
Zu den Neuerungen des Trade and Sustainable Development (TSD)-Ansatzes zählen unter anderem speziell auf das jeweilige Partnerland ausgerichtete Ziele und Fahrpläne, wodurch die Effektivität der Bestimmungen erhöht werden soll. Mit diesem Ansatz soll nun stärker als bisher den unterschiedlichen Ausgangsbedingungen von Ländern oder Regionen Rechnung getragen werden. Darüber hinaus soll nicht nur die Zusammenarbeit mit den Handelspartnern durch intensivierte Kooperationsprozesse verstärkt werden, auch die einzelnen Mitgliedstaaten und das EU-Parlament sollen vermehrt in die Überwachung und Umsetzung der Verpflichtungen einbezogen werden. In Bezug auf die Rolle der Zivilgesellschaft sieht die EU-Kommission Erleichterungen bei der Einbringung von Beschwerden aufgrund von Verstößen gegen Nachhaltigkeitskapitel vor.
Die wichtigste Neuerung des neuen TSD-Ansatzes ist die Möglichkeit, Handelssanktionen bei wesentlichen Verstößen gegen das Pariser Klimaabkommen oder die grundlegenden Prinzipien der IAO zu verhängen. Als letztes Mittel kann damit bei Nichteinhaltung essenzieller Bestimmungen dieser beiden internationalen Vereinbarungen mit den schärfsten zur Verfügung stehenden Gegenmaßnahmen in Form von Sanktionen reagiert werden.
Optimierungsbedarf aus Sicht der AK
Die AK begrüßt die Mitteilung der EU-Kommission und den darin geäußerten Willen, den bisherigen Zugang zu Nachhaltigkeitskapiteln in Handelsabkommen der EU kritisch zu reflektieren. So gibt es durchaus zu befürwortende Verbesserungen, gleichwohl greifen die Vorschläge angesichts der enormen ökologischen und sozialen Herausforderungen zu kurz.
Die AK kritisiert insbesondere, dass alle bestehenden EU-Handelsabkommen vom neuen TSD-Ansatz unangetastet bleiben und sich dieser lediglich auf zukünftige Abkommen bezieht. Damit werden die negativen Folgen der europäischen Handelspolitik der letzten Jahre einzementiert, in denen es etwa nicht gelungen ist, soziale und ökologische Verwerfungen auszugleichen. Während Investor*inneninteressen im Vordergrund standen und immer noch stehen, wurden weder in Bezug auf Arbeitsbedingungen noch in Bezug auf Umweltschutz angemessene Standards eingefordert, was für eine sozial gerechte Weltwirtschaft notwendig wäre.
Bezugnehmend auf die neue Möglichkeit der Verhängung von Handelssanktionen als Ultima Ratio ist es darüber hinaus nicht nachvollziehbar, weshalb eine Einschränkung auf schwerwiegende Verstöße der IAO-Standards und des Pariser Klimaabkommens vorgenommen wurde. Gerade die IAO-Kernarbeitsnormen stellen ein Mindestniveau von ganz grundlegenden arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften dar, für das es keine Schweregrade von Verstößen gibt. Die verpflichtende Ratifizierung der zehn IAO-Kernarbeitsnormen durch alle Vertragsparteien ist aus Sicht der AK überhaupt Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen über Handelsabkommen.
Nachdem es die Europäische Kommission bisher verabsäumt hat, die Umwelt- und Klimaschädlichkeit des Handels und des internationalen Gütertransports in ihre Überlegungen einfließen zu lassen, besteht hier mehr als dringender Handlungsbedarf.
Weiterführende Informationen:
AK EUROPA Positionspapier: Die Macht von Handelspartnerschaften: Gemeinsam für ein grünes und gerechtes Wirtschaftswachstum
Europäische Kommission: Kommission will mit neuem Ansatz für Handelsabkommen grünes und gerechtes Wachstum fördern
Rat der Europäischen Union: Schlussfolgerungen des Rates zur Überprüfung in Bezug auf Handel und nachhaltige Entwicklung
Quelle:
AK EUROPA (Österreichische Bundesarbeitskammer Büro Brüssel), Europäische Kommission, Rat der Europäischen Union;