INFOMAIL INTERNATIONAL 27.04.2022
Interview: „Mit Luftschutzalarm schlafen gehen“
Langversion des in der younited-Ausgabe Frühling 2022 veröffentlichten Interviews mit dem ukrainischen Gewerkschafter Vasyl Shilov, das am 29. März 2022 auf elektronischem Wege geführt wurde.
Donnerstag, 24. Februar. Russland startet seinen Angriffskrieg auf den Nachbarstaat Ukraine. Das unermessliche Leid, dem die Bevölkerung ausgesetzt ist, ist untragbar. Die aktuellen Ereignisse erschüttern zutiefst. Vorwürfe von Kriegsverbrechen werden untersucht und Beweise gesammelt. Im folgenden Interview konzentrieren wir uns auf die Lage in der Ukraine, und wie die internationale Gewerkschaftsbewegung versucht zu unterstützen.
younited: Vasyl, danke für dein Bereitschaft, ein Interview zu geben. Zu allererst, wie geht es dir? Bist du noch in der Ukraine, und wie ist die aktuelle Situation?
Shilov: Ja, ich bin in der Ukraine, in Kiew, in meiner Wohnung im 12. Stock. Ich lebe so, wie alle Einwohner*innen Kiews: Ich gehe abends oft mit Luftschutzalarm ins Bett und wache morgens mit Luftschutzalarm auf. Ich arbeite von zu Hause aus und koordiniere den Empfang humanitärer Hilfen, bereite Briefe vor und übersetze verschiedene Dokumente, Stellungnahmen, Solidaritätsschreiben und so weiter. Der Frühling ist nach Kiew gekommen und wenn der Beschuss aufhört, scheint es so, als wäre der Krieg bald vorbei und Frieden würde kommen. Aber der Verstand sagt einem, dass der Krieg nicht so bald enden wird, und die Masse an zerstörten Häusern, Schulen, Kindergärten und Militärpatrouillen an zahlreichen Kontrollpunkten sind der Beweis dafür. Kiew bereitet sich auf Straßenkämpfe vor, für den Fall, dass der Feind versucht, in die Stadt einzudringen – und lebt gleichzeitig ihr normales Leben weiter. Auf dem Platz in der Nähe meines Hauses sehe ich jeden Tag junge Mütter mit ihren Kindern, die herumlaufen und lachen wie immer. Sobald die russischen Truppen weiter aus Kiew zurückgedrängt sind, wird die Hauptstadt bald zum ihrem normalen Leben zurückkehren können.
younited: Sind die Gewerkschaftshilfen von IGB/EGB dort angekommen, wo sie benötigt werden? Wir wirken sie auf die Menschen in der Ukraine?
Shilov: Soweit ich weiß, sind finanzielle Hilfen sowohl des IGB als auch des EGB auf dem Konto der FPU (Anm.: ukrainischer Gewerkschaftsbund Gewerkschaften der Ukraine) eingelangt. Zusätzlich zu jenen von IGB und EGB gab es Gelder und humanitäre Hilfen von nationalen Gewerkschaftsbünden, insbesondere von Histadrut (Anm.: Dachverband der Gewerkschaften Israels), dem Solidarity Center des US-amerikanischen Gewerkschaftsdachverbandes und Kongress der Industrieorganisationen, dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, norwegischen und spanischen Gewerkschaften, dem Gesamtpolnischen Gewerkschaftsverband. Ich weiß, dass bei den finanziellen Hilfen, die seitens des IGB und des EGB geleistet wurden, überwiesene Mittel von Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes dabei sind. Das wurde bei den Treffen, die die PSI und der EGB mit deren ukrainischen Mitgliedsorganisationen abhielt, erwähnt.
Was die momentane Situation betrifft: Es ist schwierig. Das russische Militär will ohne Rücksicht auf Verluste unsere wichtigsten Städte einnehmen, darunter natürlich auch die ukrainische Hauptstadt. Da sie dazu aber nicht in der Lage sind, zerstören sie die bestehende Infrastruktur. Laut dem ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Shmyhal wird der Gesamtschaden des Krieges auf eine Billion US-Dollar geschätzt, und das BIP soll um 35 % zurückgegangen sein.
younited: Welche Hilfsgüter fehlen den Menschen in der Ukraine zurzeit am meisten?
Und welche Medikamente?
Shilov: Das kommt ganz auf die Region an. Es gibt Regionen, die Lebensmittel und Trinkwasser brauchen, weil sie von humanitärer Hilfe abgeschnitten sind. Es gibt Regionen, die mit Flüchtlingen überfüllt sind, und um diese in Schulen, Kindergärten, Gewerkschaftssanatorien unterzubringen, braucht es Feldbetten mit Matratzen, Bettwäsche, Kleidung. Was Medikamente betrifft, haben die Gewerkschaften eine Liste erstellt. Sie ist ziemlich umfangreich und enthält Medikamente gegen Kopfschmerzen, Blutdruckmedikamente, Erkältungsmittel, Jod-Präparate für den Fall erhöhter Strahlung und andere, auch Vitamine. Der Frühling ist die Zeit des Vitaminmangels.
younited: Die Arbeitnehmer*innen des öffentlichen Dienstes in der Ukraine sind massiv gefordert und nach wie vor im Einsatz, um die wichtigsten Dienste wie Feuerwehr-, Rettungs-, Wasser- oder Stromversorgung aufrecht zu halten. Wie ist die aktuelle Situation der Arbeitnehmer*innen?
Shilov: Seit dem Beginn des großangelegten Krieges, den Russland am 24. Februar gegen die Ukraine gestartet hat, ist der Staatliche Dienst für Notfallsituationen (DSNS) nahezu ununterbrochen im Einsatz. Während die Sirenen heulen, werden jeden Tag Feuer gelöscht, Trümmer beseitigt und Leben gerettet. In Kiew zum Beispiel, das in den vergangenen Tagen unter regelmäßigem Beschuss durch russische Truppen stand, betrifft die überwältigende Mehrheit der Notrufe, die bei der Feuerwehr eingehen, die Bewältigung der Folgen des Beschusses. Die Mitarbeiter*innen des Notfalldienstes sind dafür geschult, unter Stress zu arbeiten, aber nicht in einem kompletten Krieg. Dennoch wird beim DSNS mit „kühlem Kopf“ gearbeitet, ohne dabei „in Panik zu geraten“.
younited: Was erwartest du dir von der internationalen Gewerkschaftsbewegung? Willst du uns eine Botschaft übermitteln?
Shilov: Ich denke, dass sich die internationale Gewerkschaftsbewegung stärker am Kampf gegen den Krieg beteiligen und mehr Druck auf Regierungen ausüben muss, damit diese der Ukraine helfen. Wie in der bei der Sitzung des EGB-Exekutivausschusses am 16. und 17. März 2022 angenommenen Entschließung des EGB zur Ukraine festgehalten, sollte sie Putin und seine Regierung dazu drängen, die Aggression und die Invasion zu beenden und echte Verhandlungen aufzunehmen. Dafür sollte sie durch alle notwendigen Formen von Sanktionen den Druck erhöhen, insbesondere gegen die Interessen und das Vermögen der russischen Führung und Elite, und diese aufgrund der Beteiligung an der militärischen Aggression in der Ukraine auf Belarus ausweiten. Russlands Aggression gegen die Ukraine einfach nur zu verurteilen, ist nicht ausreichend.
younited: Die ukrainischen Gewerkschaftsvertreter*innen haben über die Geschehnisse Mitte Februar berichtet. Was hat sich bis jetzt verändert?
Shilov: Der Militärtheoretiker Carl von Clausewitz definierte Krieg als mehr als ein Chamäleon, das einfach seine Erscheinung ändert, sobald sich seine Umgebung verändert. Nachdem die russischen Aggressoren erkannt hatten, dass die Ukraine nicht besiegt werden konnte, begannen sie, die Taktik der verbrannten Erde anzuwenden, damit nichts mehr übrigbleibt. Heute wird nicht nur die Ost-Ukraine, sondern die gesamte Ukraine bombardiert. Wie bereits erwähnt, hat die Ukraine vorläufigen Schätzungen zufolge Schäden von fast einer Billion US-Dollar erlitten und die Beschäftigung ist um 50 % zurückgegangen. Es wurden Arbeitsgesetze für die Bedingungen des Kriegsrechts erlassen. Dennoch wächst die Zuversicht, dass die Ukraine gewinnen wird.
younited: Die beiden größten Gewerkschaftsbünde der Ukraine betreuen in Friedenszeiten mehr als drei Millionen Mitglieder. Wie viele dieser Menschen sind derzeit noch an ihren Arbeitsplätzen?
Shilov: Vor dem Krieg mit Russland hatte die FPU 4,1 Millionen Mitglieder. Wie viele es jetzt sind, ist schwer zu sagen. Wenn die Beschäftigung um 50 % zurückgegangen ist, dann ist auch die Zahl der Mitglieder zurückgegangen, wenn auch vielleicht in geringerem Maße, weil wir auch Student*innen-Gewerkschaften haben.
younited: Was sind derzeit eure Hauptaktivitäten?
Shilov: Ich kümmere mich um die Aufrechterhaltung und den Ausbau der internationalen Beziehungen der Gewerkschaften der Ukraine und gehe meiner Tätigkeit als Vize-Präsident der Gewerkschaft der Sozialarbeiter*innen nach. Das letzte, wofür ich bei der Gewerkschaft der Sozialarbeiter*innen der Ukraine Zeit hatte, war die Erstellung eines Entwurfs der Branchenvereinbarung zwischen dem ukrainischen Sozialministerium, dem ukrainischen Wirtschaftsministerium, dem Nationalen Sozialdienst der Ukraine und den Gewerkschaften der Sozialarbeiter*innen und Staatsbediensteten der Ukraine für 2022-2024. Leider machte der Krieg eine Unterzeichnung unmöglich.
younited: Wie zufrieden sind Sie mit der Unterstützung durch den Westen?
Shilov: Die nahezu einstimmige Unterstützung der Ukraine sowie der Ukrainer*innen von den ersten Tagen des Krieges an hat mich beeindruckt; die Solidarität, entgegenbracht von Gewerkschaften aus allen Kontinenten. Die Eskalation der Krise in der Ukraine hat schwerwiegende Auswirkungen auf den Zugang der Menschen zu lebenswichtiger Gesundheitsversorgung. Um in dem Konflikt verletzte Patient*innen oder Menschen, die lebensrettende Behandlungen brauchen, versorgen zu können, brauchen wir zusätzliche Mittel. Natürlich würden wir es begrüßen, wenn die NATO den Himmel über der Ukraine schließen würde.
Und obwohl die Reaktion des Westens viel heftiger ausfiel, als die meisten Expert*innen vorhergesagt hatten, und die russische Wirtschaft ins Chaos zu stürzen droht, werden die Sanktionen, die auf Oligarch*innen und dem russischen Präsidenten Vladimir Putin nahestehende Beamt*innen abzielen, ohne erhebliche interne Reformen im Westen – die schon längst hätten umgesetzt werden müssen – dem Körper der russischen imperialen Kleptokratie wohl nur oberflächliche Wunden zufügen. Wir verstehen natürlich, dass Sanktionen für den Westen teuer sind. Doch wenn man Menschenleben auf die Waagschale legt, werden sie schwerer wiegen als alle Sanktionen.
Außerdem erlaubt es die weitverbreitete finanzielle Anonymität den mächtigen Reichen, die Sanktionen zu umgehen. Der Reichtum der russischen Oligarch*innen ist (völlig legal) hinter anonymen Mantelgesellschaften und Trusts versteckt, die nur sehr schwer aufzuspüren sind.
younited: Haben die Menschen in der Ukraine mit einem derartigen Angriff gerechnet?
Shilov: Ich denke, niemand hat mit einem solchen Angriff gerechnet. Schließlich hat der russische Präsident die Ukrainer*innen immer als brüderliches Volk bezeichnet. Was seine Worte wert sind, sieht jetzt jede*r. Es hat sich herausgestellt, dass wir angegriffen wurden, weil Russland, – in den Worten des russischen Präsidentenberaters Vladimir Medinsky – wenn es weiterhin „auf die alte Weise weiterlebt, ohne Mobilisierung und Wiederaufbau, im letzten Kapitel des Geschichtsbuchs enden wird“.
younited: Wie ist Ihre Einschätzung: Wie wird es weitergehen?
Shilov: Je entschlossener alle Völker dem Krieg entgegentreten, je eher das russische Volk all die Heuchelei, Niedertracht und den Betrug der derzeitigen russischen Führung erkennt, desto eher wird es zu Ende sein. Jene, die die Lektionen des Zweiten Weltkriegs vergessen haben, werden dafür in vollem Umfang zur Rechenschaft gezogen werden. Russlands Offensive ist ins Stocken geraten. Die gesteckten Ziele wurden nicht erreicht, was bedeutet, dass die Ukraine bereits gewinnt. Man kann ein Volk, das sein Land verteidigt, nicht besiegen. Ich glaube, dass die Ukraine den Sieg davontragen wird.
Vasyl Shilov war jahrelang innerhalb des Europäischen Gewerkschaftsbund des öffentlichen Dienstes (EGÖD) und der Internationale der öffentlichen Dienste (IÖD) tätig und hat die ukrainischen Beschäftigten innerhalb des europäischen und internationalen Dachverbandes vertreten. Aktuell ist er für den Ukrainischen Gewerkschaftsbund (FPU) tätig. Er ist zudem auch Vizepräsident der Gewerkschaft der Sozialarbeiter*innen in der Ukraine.
Quellen:
younion _ Die Daseinsgewerkschaft;
Jetzt unterzeichnen: Petition zur Freilassung verhafteter belarussischer Gewerkschafter*innen
Belarussischer KGB verhaftet führende Gewerkschafter*innen
Der Europäische Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD) protestiert gegen die Verhaftung von führenden Gewerkschafter*innen in Belarus am 19. April 2022 und forderte ihre sofortige Freilassung.
Die Situation für unabhängige Gewerkschaften in Belarus hat sich gravierend verschlechtert. Am 19. April 2022 wurde die Führung des Belarussischen Gewerkschaftskongresses (BKDP) – der Präsident des BKDP Aliaksandr Yarashuk, der Vizepräsident des BKDP Siarhei Antusevich, der Präsident der Freien Gewerkschaft der Metallarbeiter*innen (SPM) Aliaksandr Bukhvostau und der Präsident der Freien Gewerkschaft von Belarus (SPB) Mikalaj Sharakh – vom KGB verhaftet.
Auch andere Kolleg*innen wurden verhaftet, darunter Yana Malash, Vitali Chychmarou, Hanna Dus, Vadzim Payvin, Mikhail Hromau, Ihar Komlik (am 21. April freigelassen), Yury Beliakou, Vasil Berasneu, Hennadz Fiadynich, Dzmitry Barodka, Miraslau Sabchuk sowie Iryna Bud-Husaim.
Andere wie Aleh Padalinski, internationaler Sekretär des BKDP, und Alena Yaskova, Anwältin des BKDP, gehen nicht an ihre Telefone. Mehrere andere sind ebenfalls nicht erreichbar und ihr Aufenthaltsort ist nicht bekannt. Der EGÖD vermutet, dass sie ebenfalls verhaftet wurden.
Die Gewerkschaftsräumlichkeiten der BKDP in Minsk wurden durchsucht. Soweit dem EGÖD bekannt, wurden auch die Räumlichkeiten der Freien Gewerkschaft von Belarus (SPB), der Freien Gewerkschaft der Metallarbeiter*innen (SPM) und der Gewerkschaft der Radio-Elektronik-Arbeiter*innen (REP) durchsucht. Die Sicherheitskräfte durchsuchten auch die Wohnungen bzw. Häuser der Gewerkschaftsführer*innen und -mitarbeiter*innen. Die Durchsuchungen betrafen PCs, Spreicherkarten, persönliche Dokumente, Pässe, Bankkarten, auch die von Familienmitgliedern, SIM-Karten ausländischer Mobilfunkbetreiber und Gewerkschaftsutensilien.
Diese Angriffe sind ein weiteres Beispiel für die laufende gewerkschaftsfeindliche Kampagne des Lukaschenko-Regimes. Sie sind möglicherweise eine Vergeltung für die Kritik der unabhängigen Gewerkschaften an Lukaschenko und an der Unterstützung der belarussischen Regierung für Putins Einmarsch in der Ukraine. Dieser Krieg hat nicht nur drastische Auswirkungen auf die Ukraine, sondern auch auf die Arbeitnehmer*innen in Russland und Belarus.
Diese Entwicklungen sind äußerst besorgniserregend und der EGÖD hat die sofortige Freilassung der Kolleg*innen gefordert.
Der EGÖD steht in Solidarität mit seinen Gewerkschaftskolleg*innen.
Neben dem EGÖD haben auch globale Gewerkschaften, die Internationale Arbeitsorganisation (IAO), Amnesty International und andere die Verhaftungen verurteilt und ein Ende der Repressionen gegen belarussische Gewerkschaften gefordert.
Hilf mit und unterstütze jetzt die Petition zur Freilassung der verhafteten belarussischen Gewerkschafter*innen!
Zur Reaktion des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB).
Quellen:
Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB), Europäischer Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD), labourstartcampaigns.net;
Der Kampf der Arbeitnehmer*innen für Frieden und sozialen Fortschritt in Europa
Jan Willem Goudriaan, Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsverbandes für den Öffentlichen Dienst (EGÖD)
Der 1. Mai ist ein Tag, an dem wir uns an die Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung erinnern und unsere Forderungen nach einer Alternative zur Ausbeutung von Frauen, Männern und unserer Umwelt hervorheben. In diesem Jahr werden unsere Feierlichkeiten von der Aggression der russischen Armee und dem Krieg in der Ukraine überschattet. Wir denken an den Kampf unserer ukrainischen Genoss*innen für die Verteidigung ihrer Freiheit und demokratischer Werte. Und wir sind mit all jenen Arbeitnehmer*innen in ganz Europa, die angegriffen werden, weil sie am 1. Mai ihre Meinung äußern, wie in Belarus und der Türkei. Wir setzen uns für eine Vision für ein anderes, ein besseres Europa mit mehr sozialer Gerechtigkeit ein, das die extremen Ungleichheiten beendet und den arbeitenden Menschen in Europa und unseren Gewerkschaften mehr Rechte bringt. Die europäische Gewerkschaftsbewegung wird sich für ein Europa des Friedens und des sozialen Fortschritts einsetzen. Der Krieg muss beendet werden, die russischen Truppen müssen abziehen, und Kriegsverbrechen müssen untersucht werden. Dann können wir an einer neuen Sicherheitsvereinbarung arbeiten, die durch Zusammenarbeit, sozialen Fortschritt und die Achtung der Menschenrechte und der Demokratie zustande kommen sollte.
Fortschritte bei der Schaffung eines sozialen Europas müssen Teil dieser neuen Vereinbarung sein. Die Bekämpfung des irrsinnigen Reichtums einiger und der wachsenden Ungleichheiten in unseren Gesellschaften ist Teil dieses Pakets. Angesichts der Angriffe auf die Gewerkschaftsrechte in vielen europäischen Ländern müssen wir das Menschenrechtssystem des Europarats, das auch für die Rechte der Arbeitnehmer*innen so wichtig ist, bekräftigen. Die EU versäumt es immer noch, sich mit diesem Thema zu befassen.
Sichere und gesunde Arbeit als Grundrecht für Arbeitnehmer*innen
Am „Workers' Memorial Day“ (28. April), dem internationalen Tag des Gedenkens an Lohnarbeiter*innen, die aufgrund von Arbeit getötet, verstümmelt bzw. verletzt wurden oder erkrankt sind, fordern wir, dass sichere und gesunde Arbeit als ein Grundrecht der Arbeitnehmer*innen anerkannt wird. Niemand sollte sich bei der Arbeit verletzen oder an arbeitsbedingten Krebserkrankungen sterben, nur weil Arbeitgeber*innen ihre Profite steigern, an allen Ecken und Enden sparen, die Arbeit beschleunigen oder mehr aus Arbeitnehmer*innen „herausholen“ wollen. Bei der vom EGÖD unterstützten Kampagne Stop Cancer at Work geht es um eine sichere Arbeitsumgebung. Gemeinsam mit den Feuerwehrgewerkschaften werden wir dieses Problem angehen und neue Normen für die Asbestexposition einführen. Das Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz wird eines der Themen sein, die auf der Internationalen Arbeitskonferenz der IAO Anfang Juni behandelt werden. Sie bringt Arbeitgeber*innen, Gewerkschaften und Regierungsvertreter*innen zusammen. Die Internationale der Öffentlichen Dienste (IÖD) koordiniert sich mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und dem Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB). Die Konferenz wird sich auch mit Verletzungen der Gewerkschaftsrechte befassen. Am 19. April verhaftete die belarussische Regierung mehrere führende Vertreter des unabhängigen Gewerkschaftsbundes BKDP und einer seiner Mitgliedsgewerkschaften, SPB (für mehr Information). In dieser Gewerkschaft sind Beschäftigte des Gesundheitswesens zusammengeschlossen, die gegen die gefälschten Wahlen im August 2020, die (fehlenden) Pandemiemaßnahmen und andere arbeitnehmer*innenbezogene Themen protestiert haben.
Im Namen von EGÖD-Präsidentin Mette Nord, den Vizepräsident*innen und allen Mitarbeiter*innen des EGÖD wünschen wir einen vereinten und kämpferischen 1. Mai. Gemeinsam sind wir stärker. Gemeinsam können wir Veränderungen für ein besseres Europa erreichen – ein anderes Europa.
Quellen:
Europäischer Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD), Internationale der Öffentlichen Dienste (IÖD), stopcanceratwork.eu;
Veranstaltungstipp: „Politische Ökonomie kritischer Infrastruktur“ am 4. Mai
4. Mai 2022 ab 18:00 Uhr in der ÖGB Fachbuchhandlung, Rathausstraße 21, 1010 Wien (neben dem Neuen Institutsgebäude NIG)
Heftpräsentation der Zeitschrift Kurswechsel zum Thema Politische Ökonomie kritischer Infrastruktur
COVID-19 hat sie ins Scheinwerferlicht gerückt: Die sogenannte „kritische Infrastruktur“, die das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben im Fluss hält. Doch was passiert, wenn sie ins Stocken gerät? Ihr Umfang und Schutz sind ebenso umkämpft wie die Frage danach, was in der gegenwärtigen Vielfachkrise überhaupt als „systemrelevant“ anerkannt wird. Wer profitiert von der Aufwertung kritischer Infrastruktur? Welche Systemrelevanz wird nur „beklatscht“? Hat die Privatisierungsideologie gerade nur Pause oder erleben wir eine Rückkehr des Öffentlichen?
Hochaktuelle Fragen zur Rolle kritischer Infrastrukturen stellen Autor*innen der Schwerpunktausgabe zur Diskussion. Dafür bestehen im Rahmen der Heftpräsentation vielfältige Anknüpfungspunkte: Sie reichen von „beklatschter Systemrelevanz“ in der kritischen Infrastruktur der Daseinsvorsorge (Daniel Haim, Katharina Mader, Jana Schultheiß) über kritische Verkehrsinfrastruktur in der ökologischen Krise (Xenia Miklin, Hans Volmary), gestiegene Finanzinteressen an kritischer sozialer Infrastruktur (Leonhard Plank) und Wendungen globalisierter Privatisierungspolitik in der COVID-19-Krise (Oliver Prausmüller) bis hin zu alternativen Perspektiven auf digitale Infrastrukturen (Astrid Krisch).
Während der Veranstaltung gilt Maskenpflicht (FFP2). Es wird darum gebeten, sich tagesaktuell über Schutz-Regelungen zur Veranstaltung informiert zu halten (www.beigewum.at).
Hintergrund & Editorial zum Heft: Heft 4/2021: Politische Ökonomie Kritischer Infrastruktur – BEIGEWUM
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit der Arbeiterkammer Wien statt.
Quellen:
Arbeiterkammer Wien, BEIGEWUM – Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen;