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Fokus Mobilitätsarmut

Das Europäische Gewerkschaftsinstitut (EGI/ETUI) veranstaltete am 14. März 2022 ein Event zum Thema Mobilitätsarmut, welches angesichts der gestiegenen Rohstoffpreise neben der Energiearmut zunehmend an Relevanz gewinnt. Ein klimaverträgliches Mobilitätsangebot kann dazu beitragen, bestehende Mobilitätsarmut zu verringern und die Teilhabe am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu erhöhen.

Die Präsentationen von Bela Galgoczi, Forschungsleiter des EGI und Milena Büchs von der Universität Leeds widmeten sich im Rahmen der EGI-Veranstaltung der Mobilitätsarmut in der EU sowie ihrer Verbindung von sozialen und Umweltzielen. Doch was genau ist eigentlich Mobilitätsarmut? Mobilitätsbedürfnisse können, je nach Alter, Geschlecht, Einkommen, Wohnort, sozialem Status und körperlicher Verfassung sehr unterschiedlich sein. Jedoch entsprechen die vorhandenen Mobilitätsangebote oftmals nicht den Bedürfnissen von sozial benachteiligten Personen. So kann soziale Vulnerabilität zur Benachteiligung bei der Verkehrsteilname führen – und umgekehrt.

Mobilität zeichnet sich durch ein starkes Stadt-Land-Gefälle aus, denn die Raum- und Siedlungsstruktur sowie die verfügbare Verkehrsinfrastruktur haben einen wesentlichen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten. In urbanen Ballungszentren wohnen an stark befahrenen Straßen hauptsächlich Personen mit niedrigem Einkommen. Dementsprechend sind sie besonders stark von Verkehrsabgasen und Lärm betroffen, obwohl viele von ihnen gar kein Auto besitzen. Einkommensstarke Haushalte hingegen profitieren weitaus stärker von der Pendlerpauschale in Österreich sowie der steuerlichen Begünstigung der privaten Nutzung von Firmenwagen. In vielen ländlichen Regionen Europas ist das Auto die einzig verfügbare oder geeignete Mobilitätsoption, dadurch wird Pendeln zum Mobilitätszwang.

Die Autozentriertheit des Verkehrssystems führt vor allem am Land dazu, dass Arbeit, Einkaufs- und Alltagsziele ohne Auto nicht erreicht werden können. Eine hohe Mobilität ist aber auch eng verbunden mit hoher Lebensqualität, ist sie doch für die Freizeitgestaltung sowie die gesellschaftliche und politische Teilhabe entscheidend. Personen, die weder ein Auto lenken können noch über einen Zugang zum Auto verfügen bzw. es sich nicht leisten können, sind daher von Mobilitätsarmut bedroht. Als problematisch erweist sich, dass Pendelwege oft auf ständige Pkw-Verfügbarkeit und öffentliche Verkehrsangebote auf Vollzeitbeschäftigte zugeschnitten sind. Das bedeutet, dass viele Menschen, die auf Grund ihres Einkommens, ihres Alters, ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts eine soziale Benachteiligung erfahren und nicht jederzeit über ein Auto verfügen, in ihrer Alltagsmobilität oft eingeschränkt sind. Dasselbe gilt auch für Teilzeitbeschäftigte, insbesondere Frauen.

Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, die Verkehrsemissionen bis 2050 um 60 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Der Verkehr ist für fast 30 % der gesamten CO2-Emissionen in der EU verantwortlich, von denen 72 % auf den Straßenverkehr entfallen. Somit ist Verkehr der größte Problemsektor in Bezug auf Treibhausemissionen sowie bei manchen Luftschadstoffen. Laut Bela Galgoczi hört sich die Zahl von 13 % an Haushaltsausgaben für Verkehr auf den ersten Blick nach nicht sehr viel an, doch zeigen Studien, dass ungefähr drei Viertel davon auf das Auto entfallen. Haushalte der höchsten Einkommensklasse haben dabei zehn Mal so hohe Ausgaben für das Auto wie Haushalte der niedrigsten Einkommensklasse. Eine Bekämpfung der Verkehrsarmut ist demnach eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit, welche auf EU-Ebene unter anderem mit einer Revision des EU-Emissionshandelssystems (ETS) sowie dem Klima-Sozialfonds angegangen werden soll. Simulationen in der Studie von Milena Büchs verdeutlichen, dass die Einführung einer CO2-Steuer mit gleichzeitiger Ausstellung von Gutscheinen bzw. Steuervergünstigungen am erfolgreichsten bei der Armutsbekämpfung und dem Erreichen der Klimaziele wäre.

Zusätzlich sind Ausbau und Zugänglichkeit des öffentlichen Verkehrs inklusive neuer Konzepte in diesem Bereich von zentraler Bedeutung, um die Stigmatisierung sozial benachteiligter Personen zu vermeiden. Bei der Ausgestaltung von Mobilität muss demnach Klima und Soziales zusammengedacht werden, denn andernfalls entwickelt sich aus dem Zusammenspiel von geringer Mobilität und sozialer Benachteiligung ein Teufelskreis mit der Gefahr, die Betroffenen aus der Gesellschaft auszuschließen.

Weiterführende Informationen:
AK EUROPA: Energiearmut – Handeln auf europäischer Ebene notwendig
AK EUROPA Positionspapier: Eine langfristige Vision für ländliche Gebiete der EU
A&W-Blog: Lange Arbeitszeiten und Arbeitswege – Verzicht auf Freizeit und Familie

Quellen:
AK EUROPA (Österreichische Bundesarbeitskammer Büro Brüssel), Arbeit & Wirtschaft Blog, CAN – Climate Action Network Europe, Europäisches Gewerkschaftsinstitut (EGI/ETUI), Europäisches Parlament, Statista, Verkehrsclub Österreich (VCÖ – Mobilität mit Zukunft)), Wirtschaft & Umwelt – Zeitschrift für Umweltpolitik und Nachhaltigkeit;