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EESC

568. Plenartagung des EWSA

Der Krieg in der Ukraine und seine wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen

Vor dem Hintergrund des Gipfeltreffens des Europäischen Rates hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) am 24. März eine Entschließung zum Thema „Der Krieg in der Ukraine und seine wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen“ angenommen. Die Mitglieder brachten ihre Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck und betonten die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Unterstützung der ukrainischen Bevölkerung und Flüchtlinge.

Zur Eröffnung der Debatte betonte EWSA-Präsidentin Christa Schweng, dass die Invasion eine Bedrohung für Europas Sicherheit und Werte sei: „Die EU hat sich völlig zu Recht ganz klar auf die Seite der Ukraine gestellt und zeigt sich in ihrer Reaktion einig und solidarisch. Die organisierte Zivilgesellschaft der EU trägt als einer der Grundbausteine unserer Demokratie die Hauptlast bei der Bewältigung der humanitären, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Krieges. Sie demonstriert ihre Entschlossenheit, dem ukrainischen Volk, das für die europäischen Werte einsteht, zu helfen. Wir zeigen unsere Solidarität durch konkretes Handeln, und unsere Unterstützung für die Ukraine ist unerschütterlich.“

Die EU-Kommissarin für Inneres Ylva Johansson hob die äußerst wichtige Rolle hervor, die dem EWSA dabei zukomme, seinen Sachverstand vor Ort zu nutzen, habe Europa doch bislang 3,5 Millionen ukrainische Flüchtlinge, darunter 1,8 Millionen Kinder, aufgenommen. Die beispiellose Solidarität, die die Organisationen der Zivilgesellschaft, die Bürger*innen und die Behörden mit den Menschen demonstrierten, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, sei bemerkenswert und mache „uns alle stolz darauf, Europäer zu sein.“ „Wir sind am besten, wenn wir zusammenarbeiten“, erklärte Ylva Johansson. Des Weiteren bekräftigte sie, dass „Putin die europäischen Grundwerte angreift und die Ukraine sie verteidigt, weshalb das Land unsere Unterstützung braucht.“

Die Vorsitzenden der drei Gruppen, die die Entschließung als Berichterstatter erarbeitet haben, hoben die großen Herausforderungen hervor, vor denen Europa infolge des Krieges stehe. Zudem forderten sie die Staats- und Regierungschefs der EU auf, Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere in den Bereichen Migrationspolitik, Inflation, steigende Energiepreise, Schaffung eines nachhaltigen Lebensmittelsystems, Verringerung der Abhängigkeiten und Aufbau der strategischen und technologischen Autonomie Europas.

Stefano Mallia, Vorsitzender der Gruppe Arbeitgeber*innen im EWSA, erklärte: „Wir begrüßen in unserer Entschließung die bisher ergriffenen humanitären Maßnahmen, fordern aber auch die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, mehr zu tun, um der Ukraine zu helfen, die im Kampf für Demokratie an vorderster Front steht. 2013 sahen die Ukrainerinnen und Ukrainer am Maidan-Platz Europa als großes Vorbild, heute ist es Europa, das sich ein Vorbild an der Ukraine nehmen kann.“

Eine der Kernbotschaften von Oliver Röpke, Vorsitzender der Gruppe Arbeitnehmer*innen, lautete, dass sich die internationale Gemeinschaft und Europa in dieser Situation geeint zeigen müssten: „Alle Versuche Putins, uns zu spalten und einen Keil zwischen die Mitgliedstaaten zu treiben, müssen erfolglos bleiben. In einem Krieg wie diesem muss der EWSA in erster Linie für einen humanitären Ansatz, für die Unterstützung der Zivilgesellschaft und für eine Verhandlungslösung eintreten, auch wenn dies derzeit kaum realistisch erscheint.“

Séamus Boland, Vorsitzender der Gruppe Vielfalt Europa, hob hervor, dass die russische Invasion der Ukraine die größte und brutalste ungerechtfertigte Aggression auf dem europäischen Kontinent seit 1939 sei: „Wir müssen uns dagegen stemmen. Wir müssen Putin anprangern, und wir müssen uns ohne Unterlass für den Frieden einsetzen.“

Überaus bewegend waren die Debattenbeiträge von Vertretern der ukrainischen und russischen Zivilgesellschaft, die aus erster Hand über ihre Kriegserlebnisse berichteten.

Der Gründer der Bewegung „Offenes Russland“, Michail Chodorkowski, wies auf die katastrophalen Folgen von Desinformation hin: „Wir sind von Haus aus dezidierte Kriegsgegner und alle vom gleichen Wunsch getrieben, mit Informationen zu den russischen Bürgerinnen und Bürgern durchzudringen. Wir haben uns dem Kampf gegen Desinformation verschrieben, auch über Russland hinaus.“

Der Präsident des Dreigliedrigen Wirtschafts- und Sozialrates der Ukraine, Anatolii Kinakh, sagte in einer emotionalen Ansprache, die Tragödie in seinem Land sei „ein Verbrechen gegen die Zivilisation, nicht nur eine militärische AggressionWir werden die Ukraine, unsere Industrie und unsere Wirtschaft wieder aufbauen müssen. Wir arbeiten bereits daran, und wir sind unseren europäischen Partnern sehr dankbar dafür, dass sie eine Art Marshallplan für die Ukraine auf den Weg bringen wollen.“

Aleksandr Shubyn, Vorsitzender der Plattform der ukrainischen Zivilgesellschaft, forderte Europa auf, die Ukraine und ihre Bestrebungen, Teil der europäischen Familie zu werden, weiter zu unterstützen.

Hennadyi Chyzhykov, Präsident der ukrainischen Industrie- und Handelskammer, bat die europäischen Arbeitgeber*innen und Wirtschaftsverbände, ukrainische Unternehmen zu unterstützen.

Abschließend mahnte Evhenyia Pavlova von der Nationalen Vereinigung der Menschen mit Behinderungen der Ukraine, diesen besonders vulnerablen Teil der Bevölkerung nicht zu vergessen, der besondere Aufmerksamkeit benötige.

Die Maßnahmen zur Bewältigung des Energiepreisanstiegs müssen länderspezifisch sein und den ökologischen Wandel voranbringen

Angesichts des Krieges in der Ukraine, der das Thema der Energieversorgung der EU wieder in den Vordergrund gerückt hat, hält der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) koordinierte Maßnahmen zur Bewältigung der derzeitigen Energiepreiskrise für notwendig. Dabei dürfen jedoch die Klimaschutzanstrengungen nicht untergraben werden. Die EU muss nicht nur Sofortmaßnahmen ergreifen, um schwerwiegenden sozialen Folgen vorzubeugen, sondern auch die Energiemärkte genau beobachten und stärker in erneuerbare Energien investieren.

Die Maßnahmen zur Bewältigung des Energiepreisanstiegs müssen koordiniert werden. Jeder Mitgliedstaat muss dabei genügend Spielraum haben, um optimal auf seine Lage reagieren zu können. Die auf der Februar-Plenartagung verabschiedete und von Thomas KattnigAlena Mastantuono und Lutz Ribbe erarbeitete Stellungnahme enthält eine klare Botschaft: Die von Preiserhöhungen am meisten betroffenen Menschen sollten unbedingt direkte finanzielle Zuschüsse erhalten und bei der Senkung ihres Energieverbrauchs unterstützt werden. Gleichzeitig müssen sie in die Lage versetzt werden, sich allein oder als Teil einer Gemeinschaft an der Erzeugung und Nutzung erneuerbarer Energien zu beteiligen, um von niedrigeren Preisen CO2-freier und CO2-armer Energieträger profitieren zu können.

Der EWSA unterstützt nicht nur Sofortmaßnahmen zur Vermeidung drastischer sozialer Folgen, sondern legt auch Vorschläge zur langfristigen Bewältigung des Problems vor. Berichterstatter Kattnig wies in der Debatte darauf hin, dass direkte finanzielle Unterstützung und steuerbasierte Instrumente die wirksamsten und unmittelbarsten Maßnahmen sind, die wir haben, um schutzbedürftigen Menschen zu helfen. Sie müssen mit spezifischen Lösungen auf nationaler Ebene einhergehen, um auf die tatsächlichen Gegebenheiten in den einzelnen Ländern zu reagieren. Dazu gehören z. B. die Verhinderung einer Unterbrechung der Energieversorgung in der kalten Jahreszeit, langfristige Ratenzahlungspläne und der Einsatz verschiedener steuerpolitischer Instrumente.

Warum steigen die Energiepreise?

Der Grund für die ungewöhnlich hohen Energiepreise seit letztem Herbst ist der enorme weltweite Anstieg der Gasnachfrage aufgrund einer Reihe von Schlüsselfaktoren: die konjunkturelle Erholung, die Verknappung der Lieferungen in die EU, mangelnde Investitionen aufgrund der Sparpolitik nach den Finanzmarkt- und Wirtschaftskrisen sowie schlechte Witterungsbedingungen, die zu einer geringeren Erzeugung aus erneuerbaren Energiequellen geführt haben. In einigen Fällen haben Spekulation, Gewinnstreben und insbesondere das Versorgungsniveau zur Ebbe in den Gasspeichern geführt. Die Vorräte in den Gasspeichern Europas – die sich teilweise im Eigentum von Unternehmen wie Gazprom befinden – sind auf ein historisch niedriges Niveau gesunken.

Die derzeitige Energiepreiskrise trifft die Menschen und Unternehmen in Europa deshalb so hart, weil die EU stark von der Einfuhr fossiler Brennstoffe abhängig ist. Wie der EWSA wiederholt festgestellt hat, wird dadurch die Versorgungssicherheit Europas bedroht. Russland nutzt diese Abhängigkeit für geopolitische Zwecke aus, zum Leidwesen der europäischen Unternehmen und Verbraucher*innen.

Die derzeit durch die Decke gehenden Preise sind in der Tat die Folge schwindender Gasreserven und der unterschätzten absoluten Abhängigkeit von Russlands Energieimporten, die als Waffe gegen die EU verwendet werden.

Energieunabhängigkeit als Schlüssel zur Gewährleistung von Stabilität und Versorgungssicherheit

Die Importabhängigkeit der EU muss so schnell wie möglich verringert werden, wie die russische Invasion der Ukraine deutlich vor Augen führt. Angesichts der Lage veröffentlichte die Europäische Kommission am 8. März 2022 eine Mitteilung über ein gemeinsames europäisches Vorgehen für erschwinglichere, sichere und nachhaltige Energie. Darin wird ein Plan vorgestellt, wie die EU – angefangen beim Erdgas – lange vor 2030 von russischen fossilen Brennstoffen unabhängig gemacht werden soll.

Bis 2030 sollen die Klimaziele, zu denen sich die EU bei der Energiewende verpflichtet hat, erreicht werden – mit dem letztendlichen Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2050. Dies erfordert enorme Investitionen, aber auch eine Anpassung des gesamten Energieökosystems.

Zudem bleibt die europäische Energiepolitik weit hinter ihren eigenen Ambitionen zurück. Die Kommission definiert zwar Energieunabhängigkeit als eines der strategischen Ziele der Energieunion, ebenso wie das Ziel, die Verbraucher*innen in den Mittelpunkt des Energiesystems zu stellen. Doch die Mitgliedstaaten konnten hierbei noch keine Erfolge erzielen.

Ein effizienterer Energiemarkt

Ein weiterer Aspekt ist der Energiemarkt. Seine derzeitige Gestaltung führt offenbar dazu, dass nicht ausreichend auf Preisschwankungen reagiert werden kann. Kleinerzeuger erneuerbarer Energie sowie Verbraucher*innen können generell nicht optimal von Vorteilen profitieren. Der Ausschuss spricht sich nachdrücklich für Marktbewertungen aus, mit denen das Verhalten der Akteure auf dem Energiemarkt analysiert wird, auch im Hinblick auf die gemeinsamen Werte der EU bei Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gemäß Artikel 14 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Er fordert daher die Kommission auf, einen Vorschlag vorzulegen, der eine wirksame Antwort auf die Probleme bietet und mit dem ökologischen Wandel in Einklang steht.

Es gilt, den Energiebinnenmarkt in Bezug auf das Marktumfeld, die Institutionen, die Regulierungsvorschriften und die Konnektivität zwischen den Mitgliedstaaten zu vollenden. Außerdem müssen die Menschen mehr Gestaltungspielraum beim nachhaltigen Wandel bekommen. Sie müssen dazu motiviert werden, die benötigte Energie selbst zu erzeugen, so Berichterstatterin Mastantuono.

Zudem müssen die nationalen Regulierungsbehörden eine aktive Rolle bei der Behandlung aller Anliegen der Verbraucher*innen spielen und sie in dieser schwierigen Hochpreislage proaktiv über ihre Rechte informieren. Für Energieversorgungsunternehmen, die Produkte für Endverbraucher*innen anbieten, sollten neue, präzisere und strengere Vorschriften angenommen werden. Die Versorgungsunternehmen sollten in der Lage sein, Preisschwankungen auf dem Markt standzuhalten und Verträge mit Verbraucher*innen nicht sofort kündigen zu müssen. Ebenso müssen die Energieanbieter bei der Festlegung der Tarife dazu angehalten werden, weiterhin stabile Preise sicherzustellen, für die sich die Verbraucher*innen – anstatt für sogenannte Float-Tarife, die an die Börsenentwicklung gekoppelt sind – dann entscheiden können.

Mehr Investitionen in erneuerbare Energien

Alles in allem ist die Mobilisierung von Investitionen in erneuerbare Energien der beste Weg, um die umweltschädlichen fossilen Brennstoffe zu ersetzen und unsere Abhängigkeit zu verringern. Um der steigenden Nachfrage nach Elektrifizierung gerecht zu werden, die allgemein als der entscheidende Faktor für die Verwirklichung der Dekarbonisierungsziele Europas angesehen wird, werden jedoch stabile Übergangsenergiequellen benötigt.

Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die Investitionen in nachhaltige CO2-freie und CO2-arme Energiequellen zu erhöhen und den Anteil erneuerbarer Energien nach Kräften zu steigern. Dies könnte zu sinkenden Preisen führen und wird sicher zu einer größeren Energieautonomie der EU beitragen – und seine Abhängigkeit von autoritären Regimen verringern.

Insbesondere muss das Fernleitungsnetz durch den Ausbau von Verbindungsleitungen und eine besser entwickelte Speicherinfrastruktur optimiert werden. Wir brauchen Anreize, um Privathaushalte und Unternehmen dazu zu motivieren, energiesparende Produkte und Technologien zu erwerben und selbst Energie zu erzeugen. Direkte Unterstützungsleistungen für Hilfsbedürftige müssen gezielt erfolgen, nicht nach dem Gießkannenprinzip. Sie müssen die soziale Dimension widerspiegeln und dürfen den ökologischen Wandel nicht behindern, so Lutz Ribbe abschließend.

Quellen:
Europäische Kommission, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA);